454 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
ist schlechthin unabhängig von jeder anderen Macht. Es besagt
nicht, was der Staat seinem Wesen nach ist, sondern vielmehr, was
er nicht ist.
Nun wird es auch völlig klar, warum das Altertum den
Souveränetätsbegriff nicht finden konnte. Wo war die außerstaat-
liche Macht, die den antiken Staat hätte bestreiten wollen? Und
ebenso wird es klar, warum auch die letzte Epoche des Mittel-
alters zwar nach dem Souveränetätsbegriff tastet, ihn aber trotz-
dem nicht finden kann. In den Kämpfen um die staatliche
Unabhängigkeit und Hoheit wird zwar die eine oder andere Seite
der souveränen Staatsgewalt in meist unklarer Weise bemerkt,
die Allseitigkeit der Negation jedoch, die in der Vorstellung der
Souveränetät liegt, wird erst in dem Augenblicke erkennbar, wo
sie politisch sichtbar und siegreich vor den Augen des Forschers
dasteht.
3. Hat die geschichtliche Untersuchung demnach ergeben,
daß die Souveränetät nur durch die historischen Kämpfe des
Staates um seine Existenzberechtigung verständlich wird, so zeigt
weitere Untersuchung, daß mit dem Augenblick, wo sie zu einem
Essentiale der Staatsgewalt und damit des Staatsbegriffes erhoben
wird, die Versuche beginnen, ihr einen positiven Inhalt zu
geben. Schon Bodin findet den Übergang von der negativen
zur positiven Funktion der Souveränetätslehre. Von ihm an-
gefangen wird die Souveränefätslehre in eine neue Kampfes-
position gestellt. Sie geht nämlich sofort von der Verteidigung
zum Angriff über. Die epochemachenden Wendungen der
Souveränetätslehre gehen alle von Männern aus, die regen Anteil
an den politischen Kämpfen ihrer Zeit nehmen und die Richtung
des Sieges durch neue Ideen bestimmen wollen. So verschieden-
artig aber auch diese Versuche ausfallen, so können sie dennoch
den Ursprung des Souveränetätsgedankens aus einem negativen
Begriff auch ın seiner neuen Position nicht verleugnen, indem es
seine Aufgabe bleibt, in seinem Vorwärtsdringen die Ansprüche
aller sich ihm entgegenstellenden Mächte energisch zu verneinen.
Ehe wir aber zu dieser Erörterung schreiten, ist ein anderer,
höchst wichtiger Prozeß eingehender zu verfolgen.
Hier greift nämlich eine zweite Gedankenreihe ein, die,
anfänglich von der Souveränetätslehre gänzlich getrennt, ihr
zeitlich lange vorangehend, sich mit ihr in eigentümlicher Weise
verflicht und zu einem schwer zu entwirrenden Knäuel tief-