Full text: Allgemeine Staatslehre

Vierzehntes Kapitel. Die Eigenschaften der Staatsgewal. 459 
so daß nur das Volk kraft des Subjektionsvertrages gebunden 
ist, nicht aber der also geschaffene Gewaltträger ; das Volk verleiht 
dem Könige die ganze Gewalt als jederzeit rückzichbares Prekarium ; 
das Volk delegiert einen Teil seiner Gewalt dem Könige, behält 
sich aber den Rest zur eigenen Ausübung vor. Das Volk kann 
sich seiner Gewalt entäußern, die Gewalt ist unveräußerlich 
beim Volke, so lauten die beiden Hauptsätze, die in mannig- 
faltigen Variationen in den Lehren des 17. und 18. Jahrhunderts 
vertreten sind und von der größten Bedeutung in den gewaltigen 
Kämpfen dieser Zeitalter werden. 
Bei schärferem Zusehen finden wir nun leicht den tiefsten 
Grund dieser Irrungen der Souveränetätslehre der naturrecht- 
lichen Epoche. Einmal ist es die Lehre von der Ableitung des 
Staates aus dem vorstaatlichen und darum rechtlich — wenigstens 
positiv-rechtlich — unbeschränkten Individuum, welche die Summe 
der durch Vereinbarung zusammengefaßten souveränen Individuen 
als Quelle der Macht ansah, in dieser Hinsicht die bereits im 
Mittelalter lebendigen Tendenzen fortsetzend, im Volkswillen den 
Ursprung des Imperiums zu suchen. Sodann ist es aber die der 
englischen Staatslehre entlehnte Anschauung, daß die Volksgemeinde 
der Staat sei, welche die Theorie von der Volkssouveränetät als 
der letzten Basis aller Staatsgewalt mit scheinbar unerschütterlicher 
Autorität umgibt. Gerade die mit kanonischem Ansehen um- 
kleidete Lehre von der civitas oder dem populus (coetus, societas) 
als Staat, welche, durch Aristoteles, Cicero und die römischen 
Juristen vermittelt, der klaren Erfassung des korporativen Cha- 
rakters der öffentlichen Verbände sich hindernd in den Weg 
stellt, mußte immer und immer wieder zu einer Gleichstellung 
von Volk und Staat führen. Hätte die Epoche von Grotius und 
Hobbes bis auf Kant und Fichte mit ihrer Durchbildung der Lehren 
von der absoluten Fürsten- und Volksgewalt die naturrechtliche 
Voraussetzung ihres Denkens abzustreifen und den von ihr sonst 
so energisch vertretenen Gedanken der körperschaftlichen Natur 
des Staates konsequent durchzuführen vermocht, so hätte sie in 
dem Volke, das ihr unausweichlich als Quelle der Macht erschien, 
nicht das Volk vor dem Staate, die sich zum Staate verbindenden 
einzelnen im Layfe dieses Verbindungsprozesses, sondern das 
bereits zum Staate organisierte Volk — mit einem Worte den 
Staat erkennen müssen. Die Frage nach dem Ursprung der 
fürstlichen Gewalt, die sofort ein Bündnis mit der neuentstandenen
	        
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