466 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
veräußerlicher Gewalt begabte Volk Rousseaus führen auf die-
selbe Gedankenkette zurück. Nicht minder aber steht die in
England mit Thomas Smith und Hooker beginnende, in Locke
und Montesquieu zur Blüte gedeihende konstitutionclle Theorie
bis auf Sieyes und B. Constant herab auf dem Boden der
Lehre von der denknotwendigen ursprünglichen Volkssouveränctät.
Hatte doch vor Rousseau bereits Montesquieu in der gesetz-
gebenden Gewalt die volont& generale erblickt!).
Damit dringt die Souveränetätslehre von neuem erobernd vor.
Die konstitutionelle Doktrin und die Lehre des contrat social er-
heben nicht minderen Anspruch auf Gestaltung des staatlichen
Lebens nach ihren Prinzipien, als es in den zweı vorangehenden
Jahrhunderten im Westen Europas die Theorie der Fürsten-
souveränetät getan hatte. Die Verfassungen der Vereinigten
Staaten im Gliedstaat und in der Union, die konstitutionellen
Experimente der französischen Revolution die Theorie vom un-
veräußerlichen, dem Volke zustehenden pouvoir constituant, die
bis in die Bewegung der Jahre 1848 hinein eine so große Rolle
spielt, die Konstruierung der belgischen Monarchie auf der Basis
der Nationalsouveränetät sınd Beispiele von der praktisch-poli-
tischen Bedeutung dieser Wendung der Souveränetätslehre.
Nicht minder feiert aber die ältere Lehre von der Fürsten-
souveränetät auch noch im 18. und 19. Jahrhundert, oft von der
theologischen Vorstellung des Königtums iure divino unterstützt,
auf dem Gebiete der praktischen Politik bedeutsame Triumphe.
Was Friedrich Wilhelm I. den ostpreußischen Junkern zurief, daß
er die suverenitet stabilieren wolle wie einen Rocher von Bronse,
das wurde im 18. Jahrhundert die Maxime im Bildungsprozeß
des östlichen Staatensvstems. Die Vorstellung vom souveränen
Herrscherrecht, dem jedes, wenn auch noch so gut und so oft
verbriefte Recht der Untertanen zu weichen habe, hat die staat-
all governments reside somewhere, is intrusted by the constitution of
these kingdoms, I p. 160.
1) Esprit des lois X1 6, „n’etant, l!’un (sc. le pouvoir legislatif) que
la volonte genärale et l’autre, que l’ex&cution de cette volont& generale“,
— In der Zeitschrift für Socialwissenschaft, N.F.II 1911 S. 14ff., be-
streitet W.Hasbach die Berechtigung einer Zuweisung Montesquieus
zu den Anhängern der Lehre von der Volkssouveränetät. In der Tat ge-
braucht Montesquieu den Ausdruck ‚‚volonte generale‘ augenscheinlich in
einem ander Sinne als Rousseau. Die Auffassung des Textes läßt sich
daher kaum halten.