490 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
Recht. Der Umfang dieser Herrschergewalt ıst für -ıhr Dasein
ganz gleichgültig. Wo ein Gemeinwesen aus ursprünglicher Macht
und mit ursprünglichen Zwangsmitteln Herrschaft über seine
Glieder und sein Gebiet gemäß einer ihm eigentümlichen Ordnung
zu üben vermag, da ist ein Staat vorhanden!).
Das Dasein einer Staatsgewalt äußert sich zunächst in dem
Dasein selbständiger, sie versehender Organe. Eigene Organi-
sation und die mit ihr verknüpfte Machtverteilung ist das erste
Merkmal, um den Staat vom nichtstaatlichen Verbände zu trennen.
Wo immer daher ein Gemeinwesen seine Verfassung von einer
Persönlichkeit ist doch immer die Folge, nicht der Grund der staatlichen
Qualität eines Gemeinwesens; es muß eine Eigenschaft aufweisen können,
die es befähigt, Subjekt des Völkerrechts zu sein. Das ist aber nichts
anderes als die ihm eignende originäre Herrschergewalt. Vgl. auch
Laband I S.75. In seiner Kleinen Staatslehre S.19 hat denn Rehm
das Erfordernis der völkerrechtlichen Persönlichkeit fallen lassen. —
Seidler, Jur. Kriterium S. 75, bezeichnet den souveränen Staat als ein
mit Gebiets-, Personal- und Organhoheit ausgestattetes Hoheitssubjekt,
den nichtsouveränen (S. 86) als eine Gebietskörperschaft, welche die Ver-
einigung relativer Gebiets-, Organ- und Personalhoheit aufweist. Diese
Auffassung entfernt sich nicht von der hier vertretenen, da sıe nur die
selbstverständliche Tatsache betont, daß .die ursprüngliche Herrscher-
macht sich an den wesentlichen Elementen des Staates betätigen muß;
nur ist der Begriff des Relativen ein viel zu unbestimmter, um zur
Klarheit zu führen. Ähnlich wie Seidler Rosenberg, Hirths Annalen
1905 S.279f. u. 2. f. ges. Staatsw. 1909 S. 15ff.
1) Vgl. auch die näheren Ausführungen, Staatsfragmente S. 11ff.
Diese Lösung gilt, wie nochmals betont werden soll, für die Staatenwelt
der Gegenwart. Ob z.B. auf Grund: mittelalterlicher Verhältnisse sich
eine scharfe Grenzlinie zwischen Staat und Gemeinde ziehen läßt, ist
für unsere Frage ganz gleichgültig, weil es nicht möglich ist, aus den
Erscheinungen voneinander fern abliegender Epochen gemeinsame staats-
rechtliche Begriffe zu gewinnen. Wer die Horde oder Familie der Urzeit,
die griechische Polis, die Gemeinwesen afrikanischer und polynesischer
Stämme, das germanische Mittelalter und die heutigen zivilisierten Staaten
miteinander vergleicht, der erhält nur einen ganz farblosen, inhaltsleeren
sozialen Begriff des Gemeinwesens, niemals aber eine konkrete rechtliche
Vorstellung. Souveränetät z.B. und völkerrechtliche Persönlichkeit sind
rechtliche Begriffe, die ganz der neuesten Zeit angehören; sie können
daher nicht zur Konstruktion der antiken und mittelalterlichen Staaten-
welt verwendet werden; ebenso passen unsere Vorstellungen von der
Körperschaft nicht auf die Gemeinwesen der heutigen Naturvölker.
Wenn die Erkenntnis von der dynamischen Natur des Staates durch-
dringt, so ist damit eine große Zahl für das Recht der Gegenwart
unnützer Kontroversen beseitigt.