Full text: Allgemeine Staatslehre

492 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
können sich diese Kolonien frei organisieren. Sie verfügen aber 
in diesem Organisationsprozesse nicht über originäres, sondern 
über geliehenes Imperium, in dessen Innehabung sie sich von 
Kommunalverbänden des Einheitsstaates nicht unterscheiden. Die 
österreichischen Königreiche und Länder haben ihre zu Staats- 
grundgesetzen erklärten Landesverfassungen, die jedoch vom 
Kaiser, nicht von dem Herrscher des einzelnen Landes gegeben 
und nur durch kaiserliche, nicht etwa durch landesherrliche 
Sanktion abgeändert werden können; es mangelt ihnen daher der 
Staatscharakter. 
Damit ein Verband als Staat zu charakterisieren sei, muß 
aber das höchste Organ, das die Verbandstätigkeit in Bewegung 
setzt, selbständig sein, d. h. es darf nicht mit dem Organ eines 
anderen Staates rechtlich zusammenfallen. Identität der Organe 
zieht, logisch notwendig, Identität des Staates nach sich!). Selbst 
da, wo es zweifelhaft sein kann, ob ein Gemeinwesen nicht das 
Recht eigener Verfassungsgesetzgebung besitzt, muß zuungunsten 
des staatlichen Charakters entschieden werden, wenn das Ge- 
meinwesen ein oberstes, selbständiges, in dieser Selbständigkeit 
handlungsfähiges Organ nicht aufzuweisen vermag. Wollte man 
z. B. aus den Organisationsbefugnissen der britischen Kolonien 
innerhalb der vom englischen Parlamente gesetzten Schranken 
auf den staatlichen Charakter dieser Kolonien schließen, so würde 
ein solcher Schluß irrig sein, weil alle diese Kolonien kein 
der britischen Krone gegenüber selbständiges höchstes Organ 
besitzen. 
Dieses Merkmal lehrt auch schwierige Grenzfälle entscheiden. 
So fehlt Kroatien im Verhältnis zu Ungarn, Finnland in dem zu 
Rußland der staatliche Charakter, weil der König von Kroatien 
mit dem von Ungarn, der Großfürst von Finnland mit dem 
russischen Kaiser rechtlich identisch ist, daher diese Verhältnisse 
keine Realunionen, sondern Einheitsstaaten darstellen ?). 
  
Gebrauch gemacht. Immerhin hat im Konfliktsfalle das Reichsparlament 
an seinem Rechte noch immer eine nicht zu unterschätzende Waffe. 
1) Wenr Seidler, Jur. Kriterium S.13, dem gegenüber auf die 
Personalunion hinweist, so beruht das auf der bei einem Juristen un- 
begreiflichen Verwechslung des Organs mit dem Organträgerl Vgl. auch 
unten Kap. XXI S. 750ff. 
2) Vgl. die eingehende Darlegung bei G. Jellinek Staatsfragmente 
S.35—46; wegen Kroatiens ferner G. Jellinek Ausgewählte Schriften u. 
Reden II 1911 S. 448 £f., 453ff.; Nagy von Eötteveny i. Jahrb.d.ö.R.
	        
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