Full text: Allgemeine Staatslehre

506 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
unterscheidet scharf zwischen der die Grundlage des Staates 
bildenden no4Aıreia und den auf der Basıs dieser Verfassung er- 
lassenen. vöuor, den einfachen Gesetzen. Die Verfassung definiert 
Aristoteles als die Anordnung über die Gewalten im Staate: 
wie sie verteilt werden, welches der Sitz der höchsten Gewalt 
sci, und welche Zwecke des Gemeinwesens jede zu verfolgen 
habe. Gesetze hingegen sind auf Grund der Verfassung erlassene 
Anordnungen, nach welchen die Obrigkeiten die Herrschaft aus- 
zuüben und Ausschreitungen zu verhindern haben!). Gemäß 
seinem Grundprinzipe, welches das Wesen der Dinge in die Form 
setzt, erscheint ihm auch die Verfassung als die Essenz des 
Staates, derart, daB die Identität des Staates in erster Linie auf 
der Identität der Verfassung ruht. 
Auch die Römer unterscheiden in voller Schärfe zwischen 
der Verfassung des Staates und einzelnen gesetzlichen Anord- 
nungen, mögen sie auch noch so große Bedeutung für das Gemein- 
wesen haben. Für dıe Feststellung der Verfassung haben sie den 
technischen Ausdruck ‚rem publicam constituere“. Die Gewalt 
der Verfassungsänderung ist in den großen Wendepunkten der 
römischen Geschichte außerordentlichen Magistraten mit kon- 
stituierender Gewalt übertragen worden, die faktisch die ganze 
schrankenlose Macht des Gemeinwesens in sich vereinigten?). 
Diese antiken Verhältnisse sind für die modernen Anschau- 
ungen vom Wesen der Staatsverfassung von großer Bedeutung 
geworden. Auf ihnen basiert die Vorstellung überragenden Wertes 
der verfassungsmäßigen Grundlagen des Staates gegenüber von 
Institutionen, die erst auf dem Boden dieser Grundlagen erwachsen 
sind. Diese Vorstellung findet sich selbst bei jenen Nationen, 
die einen formal-juristischen Gegensatz von einfacher und Ver- 
fassungsgesetzgebung nicht kennen. Es ist der Begriff der Ver- 
fassung im materiellen Sinne, der zuerst im Altertum 
  
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1289a, 16ff. 
2) Vgl. Mommsen Abriß des römischen Staatsrechts 1893 S. S8. 
Aus diesem rem publicam constituere ist wohl der erst seit dem 
18. Jahrhundert allgemein gebräuchliche Ausdruck Konstitution in der 
Bedeutung von Verfassung entstanden.
	        
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