Full text: Allgemeine Staatslehre

618 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
als man bis in die neueste Zeit wußte, auf die französische Ver- 
fassungsgesetzgebung von 1789-1791 eingewirkt haben. 
Diese Urkunden pflegen aus zwei Hauptteilen zu bestehen. Sie 
sind meistens eingeleitet durch eine Bill oder Declaratıon of Rights, 
die, in den Kolonialcharten entweder fehlend oder nur unvoll- 
ständig enthalten, einen kurzgefaßten Kodex der gesamten öffent- 
lichen Rechte des einzelnen in sich schließen. Daran reiht sich 
der Plan oder Frame of Government, die Bestimmungen über die 
obersten Organe des Staates und deren Funktionen. 
Was nun speziell die Erklärungen der Rechte anbelangt, so 
sind sie bereits in anderem Zusammenhang gewürdigt worden. 
Der erste gesetzgeberische Akt dieser Art ist die am 12. Juni 
1776 von der Konvention des Staates Virginien angenommene 
Bill of Rights, welche das Prototvp aller späteren Akte ähnlicher 
Art im Gesamtbereich der Verfassungsgesetzgebung geworden ist. 
Ihr folgen zunächst ähnliche Bills oder Deklarationen anderer 
amerikanischer Staaten nach. Einige Sätze der virginischen Bill 
sind in die berühmte Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten 
Staaten vom 4. Juli 1776 übergegangen. 
In diese Bills of Rights sind aber nicht nur die Freiheits- 
rechte, sondern auch die Grundzüge der übrigen subjektiven 
öffentlichen Rechte des Individuums aufgenommen. Ferner sind 
die Prinzipien der Volkssouveränetät, der Gewaltenteilung, der 
Zeitigkeit der Staatsämter, der Verantwortlichkeit ihrer Inhaber 
sowie manche Rechtssätze, die nur indirekt im Zusammenhang 
mit subjektiven Rechten stehen, in ihr enthalten, so daß auch 
in ihnen noch der altenglische Gedanke nachklingt, der die 
Verfassung in erster Linie als ein ius inter partes, demnach als 
wesentlich subjektive Rechte begründend auffaßt. 
Der Plan of Government der Gliedstaatsverfassungen ist so 
streng als möglich — eine vollständige Verwirklichung der Schablone 
war selbst in Amerika nicht möglich und beabsichtigt — auf dem 
Prinzip der Teilung und des Gleichgewichtes der Gewalten auf- 
gebaut, nicht etwa nur wegen des Ansehens, das die Lehre 
Montesquieus damals genoß, sondern auch, weil, wie bereits 
erwähnt, die eigentümliche von der englischen abweichende Ver- 
fassungsgeschichte der Kolonien zu einem der Montesquienu- 
schen Forderung ähnlichen Verhältnis von Legislative und Exe- 
kutive geführt hatte. Auch das Zweikammersvstem tritt in ihnen 
auf Grund geschichtlicher Entwicklung hervor, da in den Kolo-
	        
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