Full text: Allgemeine Staatslehre

Fünfzehntes Kapitel. Die Staatsverfassung. 519 
nien der Rat des Gouverneurs zugleich die Funktionen eines 
OÖberhauses ausübte. 
Diese Verfassungen sind höchstes Gesetz des Landes. Da 
alle Gewalten als vom Volke delegiert gelten, so sind sie alle 
beschränkt durch das als unmittelbarer Ausdruck des Volkswillens 
erscheinende Grundgesetz, Ohne daß es irgendwo ausdrücklich 
ausgesprochen wäre, gilt es als feststehend und ist in der Praxis 
allgemein anerkannt, daß der Richter alle Gesetze auf ihre 
materielle Verfassungsmäßigkeit zu prüfen habe. Auch dieser 
Grundsatz stammt, wie oben gezeigt, aus der früheren Staats- 
ordnung, indem die Kolonialgesetze stets der Prüfung des eng- 
lischen Richters auf ihre Übereinstimmung mit der höheren Norm 
des englischen Rechtes und damit auch der Charte selbst unter- 
lagen, was auch heute noch für alle britischen Kolonien gilt, 
insofern alle Kolonialgesetze, selbst die der am unabhängigsten 
gestellten Kolonien, die Nachprüfung durch das judicial committee 
des britischen privy council auf ihre Übereinstimmung mit dem 
Reichsrecht dulden müssen). 
Die alte Lehre von der überragenden Bedeutung des Sozial- 
vertrages wirkt noch heute in den Bestimmungen über Verfassungs- 
änderungen fort. Der Prozeß einer Verfassungsrevision ist meistens 
sehr verwickelt. Die Revision muß zunächst durch die ordent- 
liche Legislatur beschlossen werden, und zwar häufig mit einer 
erößeren als der einfachen Mehrheit, in einigen Staaten durch 
Abstimmung in zwei aufeinanderfolgenden Legislaturen?). Wenn 
es sich aber um eine Totalrevision, also Beschließung einer 
neuen Verfassung, handelt, so wird diese von einer besonderen 
  
1) Vgl. Todd Parliamentary Government in the British Colonies 
2.ed. London 1894 p.306, 309, 346ff.; Dicey 7.ed. p. 104f.,; Brinton 
Coxe An essay on Judicial Power and Inconstitutional Legislation, 
Philadelphia 1893 p. 208f£f.: für Australien vgl. Moore The Constitution 
of the Commonwealth of Australia, London 1902 p. 165ff. (2. ed. 1910 p. 
220 ff.); Hatschek St. u. V.R. v. Austr.’u. Seeland 1910 S. 96f£f. Die Juris- 
diktion des britischen privy council ist für Australien zwar eingeschränkt, 
aber keineswegs aufgehoben worden. Auch in Angelegenheiten der neu- 
geschaffenen südafrikanischen Union hat der king in council eine be- 
schränkte Zuständigkeit behalten: An Act to constitute the Union of 
South Africa (20. 9. 1909) sect. 106. 
?) Vgl. die Zusammenstellung bei Ellis Paxon Oberholtzer The 
Referendum in America (Publications of the University of Pennsylvania), 
Philadelphia 1893, p. 41 und Appendix; dasselbe, größere Ausgabe, 
new ed. 1912 p. L5Lff.
	        
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