Full text: Allgemeine Staatslehre

522 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
z.B. die Rechte der Religionsparteien iin Osnabrücker Frieden), 
sie haben aber alle einen gelegentlichen, keinen grundsätzlichen 
Charakter und wollen keineswegs die gesamte öffentliche Rechts- 
sphäre des Individuums normieren. Das einflußreichste Werk 
der politischen Literatur in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, 
der contrat social, war seiner ganzen Tendenz nach einer ver- 
fassungsmäßigen Erklärung der Rechte feindlich; hatte er doch 
durch seine Forderung einer von jedermann zu bekennenden 
bürgerlichen Religion das wichtigste und grundlegende aller 
individuellen Rechte, das der Religionsfreiheit, ausdrücklich be- 
kämpft). 
Eine ganze Reihe von Umständen lassen in Frankreich, und 
zwar schon vor dem Zusammentreten der Reichsstände, wıe die 
Cahiers beweisen, die Forderung einer geschriebenen Verfassung 
als Grundlage des Staatswesens entstehen. Die Idee der Volks- 
souveränetät, die aus ihr entspringende, später von Siey&s formu- 
lierte Lehre vom pouvoir constituant, das stets beim Volk bleibe, 
während alle anderen Gewalten als pouvoirs constitues ihr Dasein 
und ihre Zuständigkeiten von der konstituierenden Gewalt ab- 
leiten müssen, die Notwendigkeit, bei gänzlicher Neuordnung der 
Verhältnisse diese völlig klarzustellen, haben wesentlichen Anteil 
an der Schöpfung der ersten französischen Verfassung. Nicht zum 
geringsten aber ist es das amerikanische Vorbild, das bedeut- 
samen Einfluß auf Frankreich übt. Die Institutionen der durch 
Waffenbrüderschaft mit den Franzosen verbundenen Amerikaner 
hatten in Frankreich die lebhafteste Aufmerksamkeit erregt, die 
Literatur für die amerikanischen Verfassungen Propaganda ge- 
macht?). Angeregt durch das amerikanische Vorbild, namentlich 
die Bill of Rights von Virginien, hatten schon einige Cahiers eine 
Erklärung der Rechte gefordert und sodann Lafayette den 
dahın abzielenden Antrag in der Nationalversammlung gestellt. 
Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 
1789 ist das erste Resultat der französischen Verfassungsgesetz- 
gebung?). 
1) Vgl. oben Ss. 412f. Ebenso das Vereinsrecht, vgl. Erkärung der 
Menschen- und Bürgerr. S.7. 
2) Vgl. G.Koch Beiträge zur Geschichte der politischen Ideen II, 
Demokratie und Konstitution (1750—1791) 1896 S. 205ff.; Duguit La 
separation des pouvoirs, p. 13ff.; Aulard Histoire politique de la 
Revolution francaise. Paris 1901, p. 19 ff. 
®) Vgl. G. Jellinek Erklärung der Menschen- und Bürgerr. S.7£f. 
 
	        
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