524 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
vermehrter Mitgliederzahl die Änderung zu beschließen hätte,
und zwar, ohne daß dem König ein Sanktionsrecht zustände!).
Die späteren Verfassungen der Revolutionszeit haben den
Gedanken der Volkssouveränetät viel konsequenter durchgeführt,
indem sie Sanktion einer neuen Verfassung durch Volksabstimmung
verlangen, so daß die konstituierende Gewalt nicht nur der Sub-
stanz, sondern auch der Ausübung nach als der Nation selbst
zustehend gedacht wird?).
Die Wirkung der französischen Verfassung von 1791 war
eine sehr weitgreifende. Sie ist das Prototyp für alle Ver-
fassungen der Monarchien geworden, die auf dem demokratischen
Prinzipe ruhen. So sind die spanische Cortesverfassung von 1812,
die portugiesische von 1822, die heute noch in Kraft stehende
norwegische Verfassung von 1814 nach ihrem Vorbild geschaffen,
und die belgische Verfassung von 1831 ist in wichtigen Punkten
von ihr beeinflußt.
Weitaus geringere Bedeutung wohnt den nächstfolgenden
französischen Verfassungen bei, der vom Konvent ausgearbeiteten
von 1793, der Direktorialverfassung von 1795, ferner der Kon-
sularverfassung von 1799, die bereits im großen und ganzen den
Typus der Verfassung des ersten Kaiserreichs aufweist. Immerhin
ist die Konstitution vom 24. Juni 1793 nicht ohne Einfluß auf
spätere Zeiten geblieben, indem sie das Institut des allgemeinen
gleichen und direkten Wahlrechtes sowie das der fakultativen
Volksabstimmung für die Gesetze einführt, wodurch sie ın Europa
zwei Programmpunkte der Demokratie begründet, von denen der
erste im Laufe des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts große
praktische Erfolge hatte, während der zweite in der schweizeri-
schen Eidgenossenschaft, wenn auch auf Grund dort einheimischer
Einrichtungen, verwirklicht wurde. Die Direktorialverfassung führt
das Zweikammersystem ein, von dem man, die. kurze Epoche der
zweiten und die ersten Jahre der dritten Republik abgerechnet,
in Frankreich nicht mehr abgegangen ist, was bei dem Einflusse
französischer Verfassungsexperimente für das kontinentale Europa
bedeutungsvoll geworden ist. Selbst die Verfassung des ersten
Kaiserreichs hat über Frankreich hinausgegriffen, da sie in ein-
zelnen deutschen Staaten zur Zeit des Rheinbundes nachgeahmt
1) Const., titre VII.
°) Vgl. Borgeaud Etabl. des const,, p. 248 ff.