Full text: Allgemeine Staatslehre

532 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
änderungen im Deutschen Reiche, die im Reichstage mit 
einfacher Majorität beschlossen werden können, während sie in 
dem geheim beratenden und beschließenden Bundesrat abgelehnt 
sind, wenn vierzehn Stimmen gegen die geplante Änderung ab- 
gegeben werden. Wert und Bedeutung dieser Mittel ist in jedem 
Einzelfalle besonders zu prüfen. 
Hingegen kennt eine Zahl von Staaten zwar geschriebene Ver- 
fassungen, aber keine erschwerenden Formen für ihre Änderungen. 
Hierzu zählen Italien, Spanien, sowie einige kleine deutsche 
Staaten). 
Der Begriff des Verfassungsgesetzes ist gänzlich fremd den 
Staaten mit ungeschriebenen Verfassungen, also England und 
Ungarn. Aber auch in diesen Staaten wird gewissen Gesetzen 
eine höhere Bedeutung beigelegt, so in England der Bill of Rights 
und dem Act of Settlement, wie denn trotz mangelnder juristischer 
Merkmale die englische Literatur fortwährend von der englischen 
Verfassung und ihrer Geschichte spricht. 
Was aber ist Inhalt der Verfassung in jenen Staaten, die 
eine Verfassungsurkunde besitzen? Im allgemeinen läßt sich 
darauf antworten, daß sie die Grundzüge der staatlichen Organi- 
sation und Zuständigkeiten, sowie die Prinzipien für die An- 
erkennung der Rechte der Untertanen enthält. 
Allein eine feste Grenze der Verfassungsgesetzgebung gegen- 
über der einfachen konnte nicht einmal die mit der entschiedenen 
Forderung einer solchen hervortretende naturrechtliche Theorie 
ziehen. Noch weniger ist das der verfassungsgebenden Praxis 
gelungen. Män braucht bloß einen flüchtigen Blick auf die zahl- 
reichen, seit einem Jahrhundert entstandenen Verfassungsurkunden 
zu werfen, um das zu erkennen. Viele Verfassungen enthalten 
keineswegs das ganze Verfassungsrecht ım materiellen Sinne?). 
  
1) Sachsen -Meiningen, Sachsen-Altenburg, Anhalt, Reuß jüngere 
Linie. Die Texte bei Rauchhaupt Verfassungsänderungen nach deut- 
schem Landesstaatsrecht 1908 S. 104 ff. 
2) So z.B. erwähnt das jetzt geltende revidierte Grundgesetz über 
die Verfassung von Sachsen-Weimar vom 15. Oktober 1850 gar nicht des 
Landesfürsten und der Dynastie; die Verfassung des Herzogtums Anhalt 
besteht nur in einer Landschaftsordnung (dazu Abraham Der Thron- 
verzicht 1906 S.29 Note). Die badische Verfassung erwähnt nicht der 
Regentschaft, die für Österreich und Ungarn geltenden Bestimmungen 
über Thronmündigkeit und Regentschaft sind nicht publiziert. Von den 
französischen Verfassungen enthielt die Charte keine Bestimmungen über
	        
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