Full text: Allgemeine Staatslehre

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536 Drities Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
viel häufiger Ablehnung der vorgeschlagenen Gesetze erfolgt als 
die Verweigerung der Sanktion in der Monarchie. 
Hingegen hat aber auch das englische System der biegsamen 
Verfassung seine Vorteile, indem jederzeit ohne Schwierigkeit die 
Gesetzgebung den gegebenen Verhältnissen und Bedürfnissen an- 
gepaßt werden kann. Vor allem, weil dieses System offen das 
anerkennen kann, was sich gegen alle gesetzlichen Hindernisse 
Bahn bricht: die Ausprägung der realen Machtverhältnisse in den 
gegenseitigen Beziehungen der obersten Staatsorgane. Seit 1688 
hat England tiefgreifende Änderungen seiner materiellen Ver- 
fassung erfahren, die aber in keinem Gesetze ihren Ausdruck 
gefunden haben. Die parlamentarische Kabinettsregierung ist 
nicht nur nicht durch Gesetze fixiert, sondern die Gesetze, welche 
ein Kabinett neben dem privy council des Königs verbieten, sind 
bis heute nicht aufgehoben, sie sind obsolet geworden, weil die 
fortbildende Kraft des konstitutionellen Gewohnbheitsrechtes in 
England anerkannt ist. Daher behaupten die Engländer mit 
Recht, daß ihre ungeschriebene Verfassung, die sich den 
wechselnden politischen und sozialen Verhältnissen fortwährend 
anpaßt, stets wirklich geübtes Recht sei, während bei geschriebener 
Verfassung, je starrer sie ist, ein desto größerer Abstand zwischen 
tatsächlicher Rechtsübung und totem Gesetzesbuchstaben mög- 
lich sei. 
Das eine ist jedenfalls richtig, daß auch geschriebene, starre 
Verfassungen nicht hindern können, daß sich neben ihnen oder 
gegen sie ein ungeschriebenes Verfassungsrecht entwickelt, so 
daß auch in solchen Staaten neben der formellen Verfassung 
rein materielle Verfassungsrechtssätze sich bilden!). Das möge an 
folgenden Beispielen nachgewiesen werden. 
  
1) Vgl. zum folgenden G.Jellinek Verfassungsänderung und Ver- 
fassungswandlung 1906; Besondere Staatslehre (Ausg. Schriften u. Reden 
II 1911) S.261ff.; Smend Die Stellung des Reichskanzlers (Hirths 
Annalen 1906) S.321ff.; Radnitzky Dispositives und mittelbar gelten- 
des Recht (Arch. f£.ö.R. 21.Bd. 1907) S. 280ff.; Triepel Die Kom- 
petenzen des Bundesstaats (Festgabe für Laband II 1908) S. 257 f£.; 
K.Perels Stellvertretende Bevollmächtigte zum Bundesrat (Festgabe für 
Hänel 1907) S.255£.; Hatschek Konrventionalregeln usw. (Jahrb.d. 
ö.R. III 1909) S.1ff.; Krückmann Einführung in das Recht 1912 
S.97; Ch.F.Amidon The nation and the constitution (The Green Bag 
vol. 19) 1907 p.594ff.; E.Bruncken The elasticity of the constitution 
(The Green Bag vol. 20) 1908 p.18£f.;, Pound Law in books and law
	        
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