Full text: Allgemeine Staatslehre

Sechzehntes Kapitel. 
Die Staatsorgane. 
I. Allgemeine Erörterungen. 
Jeder Verband bedarf eines einheitlichen Willens. Dieser 
Wille kann kein anderer als der menschlicher Individuen sein. 
Ein Individuum, dessen Wille als Verbandswille gilt, ist, soweit 
diese Beziehungen auf den Verband reichen, als Willenswerkzeug 
des Verbandes, als Verbandsorgan zu betrachten. 
Die Vorstellung, daß die Handlungen einzelner Menschen 
nicht nur als solche, sondern zugleich auch als Handlungen eines 
Verbandes gelten, dem sie angehören, entspringt durchaus nicht 
erst der Reflexion des juristisch geschulten Denkens höherer 
kKulturstufen. Sie gehört im Gegenteil bereits den naiven sozialen 
Begriffen der Naturvölker an, und heute noch ist in Nachwirkung 
primitiver Ideen das populäre Denken tief von ihr beeinflußt. 
Ursprünglich gilt jede nach außen hin wirkende Handlung des 
Mitgliedes einer sozialen Gruppe als Handlung der Gruppe 
selbst. Für die N\issetat des einzelnen haftet daher die Familie, 
die Sippe, der Stamm derart, daß das Delikt der Gesamtheit 
zugerechnet wird. Nicht minder erscheint in primitiven religiösen 
Vorstellungen der religiöse Verband als eine Einheit gegenüber 
den Göttern, die ihm als solchem Segen und Unsegen bringen, 
die Sünden der Väter an den Kindern heimsuchend, die Taten 
einzelner dem ganzen Volke zur Last legend. Am längsten hat 
diese primitive Vorstellung in den feindlichen Beziehungen der 
Kulturvölker sich erhalten. Trotz aller Milderung des Rechtes 
und der Sitte ist doch auch heute noch der Krieg im Grunde 
eine Form der Gesamthaftung der einzelnen. In den An- 
schauungen des täglichen Lebens aber spielt die primitive Vor- 
stellung der Gesamthandlung sozialer Gruppen durch ihre Glieder 
noch eine ungeheuere Rolle. Familien, Stämme, Nationen, Kon- 
fessionen, Stände, Berufe, Volksklassen werden von vielen für
	        
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