546 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
organ für den künftigen Träger der Krone. Alle durch Wahl
oder Ernennung geschaffenen Organe bedürfen einer derartigen
Schöpfertätigkeit. Alle Wahlmonarchien hatten notwendigerweise
neben dem Herrscher noch ein zweites unmittelbares Organ, das
Wahlkollegium. Auch politisch trat dies darin hervor, daß wie
in jedem Staate mit mehreren unmittelbaren Organen ein Gegen-
satz zwischen Wahlorgan und Monarchen vorhanden war, indem
dem Kreationsorgan die Tendenz innewohnte, dauernd die politische
Oberhand über den Gewählten zu erringen, wie manche miitel-
alterlichen Reiche und namentlich das Verhältnis der Kurfürsten
zum römischen Kaiser, zumal seit der Wahlkapitulation, bewiesen.
Diese Abhängigkeit konnte soweit gehen, daß der Gewählte nur
mehr ein Scheindasein als unmittelbares Organ führte, wenn
nämlich den \Wahlkollegien ein Absetzungsrecht gegenüber dem
Gewählten zustand oder sie sich ein solches anmaßten. Daß
indes auch die Superiorität des Gewählten im Sinne der Ver-
fassung gewahrt bleiben könne, hat die Kirche in der Stellung
des Bischofs zum Domkapitel, des Papstes zu den Kardinälen be-
wiesen. Dieser letztere Fall ist staatsrechtlich so überaus inter-
essant, weil im Kirchenstaate die beiden unmittelbaren Organe:
Papst und Kardinäle, sich gegenseitig kreierten, wie es ja heute
noch in der Kirche der Fall ist.
Die Tätigkeit der Kreationsorgane ist rechtlich, sofern ihnen
nicht noch weiterer Örgancharakter zukommt, streng auf den
Kreationsakt beschränkt.
Verwandt dem Unterschiede von Kreations- und kreierten
Organen und doch wiederum ganz eigengeartet ist der von
primären und sekundären Organen. Sekundäre Organe sind
solche, die zu einem anderen Organe selbst im Organverhältnisse
stehen, so daß sie dieses Organ unmittelbar repräsentieren. Hier
kann das repräsentierte primäre Organ gar keinen Willen äußern
als durch sein sekundäres Organ, der Wille des sekundären
Organs ıst unmittelbar als Wille des primären Organs anzusehen.
Diesen Typus tragen alle Gattungen staatsrechtlicher Re-
präsentation an sich. Parlamente, wie immer sie bestellt sein
mögen, sind unmittelbare, aber sekundäre Organe. Ihr Wille gilt
als Volkswille, als Wille des durch sie dargestellten primären
Organs. Dieser Repräsentation ist wegen ihrer hohen Bedeutung
im modernen Staate und zahlreicher sich an sie knüpfender
Fragen ein besonderes Kapitel gewidmet.