Full text: Allgemeine Staatslehre

560 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
gegenüber keine Persönlichkeit. Es sind nicht zwei Personen 
vorhanden: Staatspersönlichkeit und Organpersönlichkeit!), die 
zueinander in irgendeinem Rechtsverhältnis ständen; vielmehr 
ist Staat und Organ eine Einheit. Der Staat kann nur vermittelst 
seiner Organe existieren; denkt man die Organe weg, so bleibt 
nicht etwa noch der Staat als Träger seiner Organe, sondern eın 
juristisches Nichts übrig. Dadurch unterscheidet sich das Organ- 
verhältnis von jeder Art der Stellvertretung. Vertretene und 
Vertretender sind und bleiben zwei, Verband und Organ sind 
und bleiben eine einzige Person. 
Das Organ stellt den Staat dar, aber nur innerhalb einer 
gewissen Zuständigkeit. Diese Zuständigkeiten können durch 
die betreffenden Organe einander gegenübertreten, es kann Streit 
zwischen ihnen entstehen über ihre Grenzen. Dieser Streit kann 
in den Formen eines Prozeßverfahrens geführt werden und der 
Staat formell seinen Organen Parteirolle zuweisen. Niemals aber 
werden die Organe dadurch zu Personen. Staatshäupter, Kammern, 
Behörden haben niemals juristische Persönlichkeit, die einzig und 
allein dem Staate zukommt; alle Rechtsstreitigkeiten zwischen 
ihnen sind Zuständigkeitsstreite innerhalb ein und desselben 
  
1) Dieser Begriff stammt von Gierke, in Schmollers Jahrbuch VI] 
S.1143, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung 
1887 S.157. Dagegen vorzüglich Bernatzik Kritische Studien, Archiv 
f.öff. Recht V S.213f. Für die Organpersönlichkeit ohne tiefere Be- 
gründung Spiegel, Grünhuis Zeitschrift XX1V S.181. Auch Hölder 
spricht neuerdings von einer Persönlichkeit des Amtes: Natürliche und 
juristische Personen 1905 S. 223 ff., ebenso A. Affolter im Arch. £f. öff. RR. 
23. Bd. 1908 5.362ff. Haenel, Staatsrecht I S.S6, führt aus, daß der 
Kreis öffentlicher Rechte und Pflichten dem Organ nicht zu individualem, 
sondern zu organischem, zu Berufs- und Amtsrechte zusteht. Was die 
letzteren Begriffe bedeuten, wird jedoch nicht ausgeführt. Da aber 
Haenel hierauf die Kompetenz des Organs und dessen individuale 
Rechtssphäre streng sondert, so scheint er mit der hier vertretenen Lehre 
vollinhaltlich übereinzustimmen. O.Mayer, II S.395 N.2, wendet gegen 
sie ein, daß von dem Vertreter ein Stück Wille abgelöst wird; dann 
brauche man ihn nicht mehr. Das ist aber kein stichhaltiger Einwand; 
der Staat braucht sicherlich nur das Stück Willen, das seinen Willen 
darstellt, da er aber dieses Stück doch nicht ohne den ganzen Menschen 
erhält, so kann die Loslösung des dem Staate nötigen Willensstückes 
auch nur durch eine logische, nicht durch eine chirurgische Operation 
vollzogen werden. — Die Ausführungen des Textes sind in Frankreich 
vielfach mißverstanden worden; vgl. O. Mayer, Festgabe für Laband | 
1905 S.5£.
	        
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