568 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
der Repräsentation gänzlich abspricht!). Das ist aber nur richtig
in Beziehung auf die Tätigkeit der obersten Organe der Repu-
bliken, der Volksversammlung und des Rates. Da, wo die Volks-
gemeinde selbst handeln kann, ist eben das dringende Bedürfnis
einer Repräsentation gar nicht vorhanden, und damit mangelt
auch das geschichtliche Motiv zu ihrer Entstehung. Selbst in den
griechischen Städtebünden, wo an Stelle der Gemeinde eine
Bundesversammlung treten muß, hat keine Repräsentation statt-
gefunden, vielmehr hat jeder stimmberechtigte Bürger des Einzel-
staates Stimmrecht in der Ekklesie des Bundes?). Wenn aber
eine Gesamthandlung des Volkes der Natur der Sache nach ganz
ausgeschlossen ist, da sehen wir in Hellas und Rom für die
Beurteilung des in solchem Falle Handelnden den Repräsen-
tationsgedanken deutlich hervortreten. Die zuständigen Hand-
lungen der Magistrate werden unabhängig von jeder juristischen
Theorie als Handlungen des Volkes selbst betrachtet, die es
berechtigen und verpflichten. Das öffentlich-rechtliche Mandat,
das dem Magistrat zuteil wird, berechtigt ıhn, alle ın seinen
) Rehm, Geschichte S.114, will in verschiedenen Ausführungen
des Aristoteles (Pol. IV 1298b, 28ff., und VI 1318a, 11ff. u. 25£f.) die
erste systematische Erörterung der Zweckmäßigkeit von Konstitutio-
nalismus und Repräsentativsystem sehen. Doch ist das eine auf dem
Hineintragen moderner Rechtsideen in antike rein politische Anschauungen
beruhende Täuschung. Wenn Aristoteles für die Demokratie eine auf
dem Zensus beruhende Klassenwahl zur Bestellung einer die Behörden
einsetzenden Versammlung vorschlägt, so denkt er dabei keineswegs
an eine Repräsentation der Wähler, sondern wendet nur das in den
griechischen Staaten geübte Prinzip der Behördenwahl auf eine Wahl-
behörde an. So große politische Neuerungen wie der Repräsentations-
gedanke sind nicht auf literarischem \Wege, sondern durch lange
historische Arbeit von den Völkern, nicht von einzelnen auf dem \ege
der Spekulation gefunden worden. Eine Art Repräsentation hat man
auch in den vom Rom der Kaiserzeit eingerichteten Provinziallandtagen
sehen wollen. Namentlich in dem Landtag der drei Gallien hat man
„eine organisierte Gesamtvertretung‘‘ (Mommsen Röm. Geschichte V
2. Aufl. 1885 S.'85) erblickt. Aber auch diese künstlichen Schöpfungen
können bei ihren sehr kümmerlichen Befugnissen doch kaum als eine Re-
präsentation der Nation gegenüber dem Herrscher im späteren Sinne gelten.
®) Vgl. Freeman History of federal Government I, 2.ed. 1893
p. 205, 260; Busolt a.a.0. S.82£f., 344, 356ff., 370; Szanto a.a.0.
3.189 ff. Diese gegen vereinzelten Widerspruch (M.Dubois Les ligues
achcenne et etolienne p.127ff.) als erwiesen angesehene Tatsache zeigt
mehr als jede andere, wie fern den Griechen der parlamentarische
Repräsentationsgedanke lag.