Full text: Allgemeine Staatslehre

Siebzehntes Kapitel. Repräsentation und repräsentative Organe. 577 
richterliche den Gerichtshöfen, die daher nicht minder Repräsen- 
tanten des Volkes sind als die Mitglieder der Legislatur. In 
Frankreich wird auch dieser Gedanke rezipiert, indem der König 
neben der Nationalversammlung ausdrücklich als Repräsentant 
des Volkes bezeichnet wird!), was dem allgemeinen Bewußtsein 
um so verständlicher war, als die Vorstellung der Repräsen- 
tation der Nation durch den König selbst den absoluten Herr- 
schern Frankreichs geläufig war. Diese amerikanisch-französische 
Auffassung der republikanischen Staatshäupter ist für alle re- 
publikanischen Verfassungen maßgebend und unter französischem 
Einfluß auch in dem Text mancher monarchischen Verfassungen 
zur Definition der Stellung des Fürsten verwendet worden. 
3. Über das rechtliche Wesen der auf Grund des neueren 
Repräsentationsgedankens aufgebauten gesetzgebenden Kollegien 
bestehen bis in die Gegenwart erhebliche Unklarheiten: ja, eine 
vollkommen befriedigende Lösung der von ihnen dargebotenen 
Probleme ist bisher überhaupt nicht vorhanden. Die englische, 
amerikanische und französische Literatur sieht trotz der Be- 
tonung des Gedankens der Repräsentation in dem Wahlakte doch 
immerhin eine Übertragung von Macht von den Wählern auf 
den Gewählten?), ohne daß sie dieses Verhältnis des freien 
Mandates irgendwie auf einen streng juristischen Ausdruck zu 
bringen bestrebt wäre. Diese Unklarheit wirkt auch mit auf 
gewisse politische Forderungen ein, die das Repräsentativsystem 
aufheben oder schwächen wollen. Diejenigen, welche mit dem 
politischen Gedanken des Mandates juristisch Ernst machen 
wollen, verlangen in Erneuerung ständischer Vorstellungen die 
  
1) Titre III Art.2. „..La constitution francaise est reprösentlative: 
les representants sont le Corps legislatif et le Roi.“ 
2) Was mit den landläufigen Vorstellungen von der Volkssouveränetät 
zusammenhängt. Im Staatsrecht der Amerikaner und Franzosen ist 
immer von der Delegation (to grant, to vest) der Gewalten durch die 
Nation oder deren indirekten Ausübung durch das Volk die Rede. Doch 
beginnt in neuester Zeit in Frankreich die deutsche Theorie von der 
Repräsentation einzudringen. Vgl. Orlando Du fondement juridique 
de la representation politique; Revue du droit public et de la science 
politique en France et & l’e&tranger Ill 1895 p.1ff,, namentlich aber 
Saripolos La democratie et l’election proportionnelle Il, Paris 1899 
p. 98 ff., mit gründlichster Literaturkenntnis, dazu A.Mestre Le fon- 
dement juridique de l’election proportionnelle dans la democratie (Extrait 
de la Revue generale du droit 1899 p. 15ff.). 
G.Jellinek, Allg. Staatslehre. 3. Aufl. 37
	        
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