580 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtsichre.
stimmung der Staatswillensakte verloren gehen, wenn ein solcher
Willensakt nicht als der des einheitlichen Volkes in seiner Gestalt
als Staatsorgan erkannt werden würde. Es steht nämlich mit
deın Volkswillen nicht anders wie mit dem Willen des Monarchen
und seiner Behörden, der ein unparteiischer, nur das Gemein-
interesse zum Ausdruck bringender sein soll, aber durchaus nicht
immer ist. Allein auch der dem Ideal nicht entsprechende Staats-
wille bleibt trotzdem Staatswille.. Gäbe man in seiner Erfassung
statt juristischer sozialer Betrachtungsweise Raum, so wäre es
mit dem Staatsrecht überhaupt bald zu Ende, und subjektive
Willkür träte an die Stelle der Erkenntnis des Rechtlichen.
Namentlich aber die Betrachtung der repräsentativen Re-
publik lehrt die Unhaltbarkeit der Versuche, das Parlament als
Organ der Gesellschaft, nicht des Staates aufzufassen. In Frank-
reich ist das Parlament das höchste Staatsorgan; durch sein
Medium werden erst alle übrigen Organe (Präsident und die von
diesem ernannten Beamten und Richter) eingesetzt. \Wäre das
Parlament nicht Staatsorgan, dann wäre Frankreich kein Staat,
sondern eine Anarchie. Im Grunde ist diese Anschauung nichts
als eine Folge jener ärmlichen Begriffsjurisprudenz, die nichts
als den Typus des absoluten Staates kennt und ın diese enge
Schablone die ganze Fülle neuerer Staatsbildungen einzwängen will.
Von den beiden möglichen juristischen Auffassungen der
Volksvertretung ist die eine heute in der deutschen Literatur
gänzlich verlassen. Solange man nämlich in das \Wesen der Re-
präsentation nicht tief genug eingedrungen war, nahm man, wie
heute noch vielfach in der außerdeutschen Literatur, eine Dele-
gation des Volkes an die Repräsentanten an, was die weitere
Vorstellung mit sich brachte, daß die Substanz der delegierten
Rechte dem Volke verbleibe, somit nur deren Ausübung dem
Repräsentanten zustehe!). Mit dem Verbote der Instruktionen
und der Befreiung der Gewählten von jeder Verantwortlichkeit
1) Z.B. Rotteck Vernunftrecht II S.225; Klüber Oeff. Recht des
teutschen Bundes und der Bundesstaaten 4. Aufl. 1840 S.392; Zöpf)
Grundsätze II S.254. Mohl, Württemb. Staatsrecht 2. Aufl. I S. 537,
führt aus, daß das Volk seine Rechte an seine Stellvertreter übertragen
habe. Er bezeichnet, wie schon früher Rotteck, II S.233, die Volks-
vertretung als Organ des Volkes (S.535). So auch die sächsische Ver-
fassung vom 4. Sept. 1831 $ 78 (die Stände sind das gesetzmäßige
Organ der Gesamtheit der Staatsbürger und Untertanen). Noch bei
H.Schulze, Preuß. Staatsrecht 2. Aufl. 1 1888 S.563, findet sich eine