Full text: Allgemeine Staatslehre

Siebzehntes Kapitel. Repräsentation und repräsentative Organe. 585 
Teile den Charakter unmittelbarer sekundärer Organe besitzen. 
Im Staate mit Repräsentativverfassung ist das Volk als einheit- 
liches Staatselement zugleich aktives Staatsglied, kollegiales Staats- 
organ oder, noch genauer ausgedrückt!), derjenige Teil des Volkes, 
dem verfassungsmäßig die Ausübung staatlicher Funktionen in 
geringerem oder größerem Umfange zukommt. Einen Teil der 
Funktionen übt es selbst, den anderen durch einen Ausschuß 
aus, der als Organ des Volkes zugleich Organ des Staates selbst 
ist. Volksvertretungen sind daher sekundäre Organe, d.h. 
Organe eines Organs. Das Volk als Einheit hat seinen Organ- 
willen demnach teils an. dem nach einer festen Ordnung gewonnenen 
Willen seiner Mitglieder, teils an dem seines Ausschusses; es ist 
teils primäres, teils sekundäres Organ. 
Als primäres Organ handelt das Volk selbst ın dem Wahl- 
akte, durch den es sich Repräsentanten bestellt. Und zwar ist 
das Volk nicht bloß reines Kreationsorgan, dessen Funktion und 
Recht mit der Ernennung der Abgeordneten konsumiert ist,. wie 
es die Wahl des Kaisers durch die Kurfürsten war und die des 
Papstes und der Bischöfe in der Kirche ist, die kein besonderes 
rechtliches Band zwischen Wählern und Gewählten schafft, sondern 
diese von jenen ganz loslöst und über sie erhebt. Vielmehr 
knüpft sie eine dauernde Verbindung zwischen dem Repräsen- 
(anten und dem Gesamtvolke, nämlich ein Organverhältnis, das 
seiner Natur nach nur ein Rechtsverhältnis sein kann?). Damit 
stimmt auch die dauernde und normale politische Abhängigkeit 
des Gewählten von den Wählern überein, die von der herr- 
schenden Theorie als rechtlich unerheblich gänzlich ignoriert 
  
werbe- und Kaufmannsgerichte usw. Im alten Reiche hatte man in der 
konfessionell gemischten Zusammensetzung der Reichsgerichte und der 
dadurch möglichen itio in partes sogar eine Garantie der Unparteilichkeit 
der Rechtsprechung erblickt. 
1) Diese Einschränkung übersieht Kelsen in seiner etwas aulf- 
geregten Polemik a.a.0. S.48S4ff. Mit dem Texte übereinstimmend 
Hatschek Allg. StR.I S.71. 
2) Hiergegen Kelsen S.483f., da ein Rechtsverhältnis nur zwischen 
verschiedenen Rechtssubjekten denkbar sei. Aber diese zwei Rechts- 
subjekte sind da: der Staat, verkörpert durch die Wählerschaft, und der 
Abgeordnete als Individuum. Das Rechtsverhältnis ähnelt -— vergleichs- 
weise gesprochen — dem zwischen dem Staat, verkörpert durch die 
Dienstbehörde, und dem Beamten. — Eine andere Frage ist es, ob man 
das Verhältnis nicht besser als rein tatsächlich-politisch auffaßt; vgl. 
Michoud La theorie de la personnalit& morale I 1906 p. 288 n. 1.
	        
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