Full text: Allgemeine Staatslehre

Siebzehntes Kapitel. Repräsentalion und repräsentative Organe. 9389 
Daher haben die Vorstellungen von Appellation der Regierung 
an die Wähler, von Entscheidungen der Wähler über prinzipielle 
Fragen nicht nur einen politischen, sondern auch einen rechtlichen 
Sinn. Das Volk äußert gegebenenfalls durch die Wahl eine 
bestimmte Ansicht, die durch das Medium seines sekundären 
Organes rechtliche Geltung erhält. In den Staaten der amerika- 
nischen Union werden Totalrevisionen der Verfassungen besonderen 
Konventionen übertragen. Die Wahlen in die Konventionen 
finden auf Grund der Wahlparole für oder gegen die Revision 
statt. Hier äußert das wählende Volk, ohne daß etwa ein im- 
peratives Mandat bestünde, im Wahlakt selbst einen einheitlichen 
Willen über eine bestimmte Frage. Mit der landläufigen Formel 
kann man solche Vorgänge juristisch nicht erfassen. Die Auf- 
lösungsbefugnis der \Wahlkammern z. B. bildet eines der wich- 
tigsten Rechte der Regierung in Staaten mit Repräsentativ- 
verfassung. \Venn das Staatsrecht, wie es bei der herrschenden 
Theorie der Fall ıst, nicht ımstande ist, den darauf bezüglichen 
Verfassungsrechtssätzen eine über die nackte Konstatierung ihres 
Daseins hinausgehende Bedeutung zuzuerkennen, so fragt es sich, 
welchen \Vert eine derartige, im Grunde doch nur statistische 
Behandlung wichtiger Probleme für die rechtliche Erkenntnis hat. 
Das juristisch Bedeutsamste an der hier vorgetragenen Lehre 
liegt aber darin, daß erst durch sie eine wichtige Erscheinung 
in- den Staaten mit konstitutioneller Verfassung verständlich wird. 
Die meisten Staaten dieser Art besitzen für die Wahlkammern 
das Institut der Integralerneuerung und gewähren der Regierung 
das Auflösungsrecht. Wenn nun die Legislaturperiode abgelaufen 
oder die Kammer aufgelöst ist, welchen Charakter hat ein solcher 
Staat in der Zwischenzeit bis zu den Neuwahlen? Nach der 
  
zu sprechen bei Überstimmung der Minderheit seiner Mitglieder. In 
Wahrheit handelt es sich hier wie dort um ein logisches Zusammenfassen 
der Erscheinung unter die Kategorie der Einheit. Vgl. auch Besondere 
Staatslehre (Ausg. Schr. u. R. II 1911) S.223. — Die Darlegungen des 
Textes haben in Frankreich Anklang gefunden: Wittmayer Eigen- 
wirtschaft der Gemeinden usw. 1910 S. 103. Sie werden bestätigt durch 
den Beschluß des Reichstags vom 18.3.1892 (abgedruckt bei K.Perels 
Das autonome Reichstagsrecht 1903 S. 70f.). „Zur Erhebung einer Wahl- 
anfechtung ist jeder zur Reichstagswahl Berechtigte (SS 1—3 des Wahl- 
gesetzes vom 31. Mai 1869) berechtigt.“ Ein Königsberger Wähler kann 
also die Wahl im Wahlkreise Freiburg i.B. anfechten, ein Beweis für 
die Einheit der Wählerschaft.
	        
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