Full text: Allgemeine Staatslehre

590 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
herrschenden Lehre müßten solche konstitutionelle Staaten zugleich 
intermittierende absolute Staaten sein. Das ist aber keineswegs 
der Fall. Wenn der deutsche Reichstag aufgelöst ıst oder neu 
gewählt wird, so fehlt in der Zeit vom Schluß der Session 
bis zu den vollzogenen Neuwahlen dem Reiche keineswegs das 
Organ des Volkes, vielmehr ist die dauernde gesetzliche Ein- 
richtung der Wahlorganisation vorhanden, die Wahlberechtigten ; 
das Volk als primäres Organ ist stets da, um die ihm zukommende 
Organtätigkeit auszuüben, was immer für Geschäfte mit der 
Vorbereitung zur Wahl verknüpft sein mögen. Das Deutsche 
Reich ist in keinem Augenblicke ein absoluter Staat; das sekun- 
däre Organ des Volkes ist intermittierend, das primäre aber 
perennierend. 
5. Während der Repräsentationsgedanke auf dem Gebiete der 
Gesetzgebung sich erst mit der Entstehung der Parlamente aus- 
gebildet hat, ist er, wie eingangs dieses Kapitels dargelegt, für 
die Auffassung der Regierung sehr alten Datums. Durch Ver- 
mittlung der Vorstellung, daß das Volk im Staate notwendig 
Quell aller Gewalten sei, wird der Monarch als Delegatar des 
Volkes betrachtet, und Streit herrscht nur über den Punkt, ob das 
ıhm übertragene Recht zurückziehbar sei oder nicht. Darum ent- 
wickelt sich für die mittelalterliche Staatslehre ganz natürlıch der 
Gedanke, der Fürst sei Repräsentant des Volkes, wobei allerdings 
zu beachten ıst, daß, wie im Altertum, eine klare Erkenntnis 
der Organqualität des Volkes nicht vorhanden ist, so daß in der 
Auffassung der Rechtsstellung des Fürsten die Eigenschaften als 
primären Staatsorgans und als Volksrepräsentanten miteinander 
vermischt sind. 
An diese Lehre knüpft das moderne Naturrecht an, und 
unter seinem Einflusse bricht sich die Vorstellung Bahn, daß das 
Volk als Summe der einzelnen noch nicht der Staat sei, dieser. 
vielmehr das verfassungsmäßig organisierte Volk in der Form einer 
Körperschaft darstelle. Damit wird das Volk nicht vor und über, 
sondern in den Staat gestellt. In ihm bleibt es aber nach der 
naturrechtlichen Theorie dauernd die Quelle aller Gewalten, und 
damit werden alle jene, die Gewalt ausüben, nicht direkt, sondern 
durch das Medium des sie bestellenden Volkes Organe des Staates. 
Legislatorisch wird das zuerst in den Vereinigten Staaten, sodann 
in (ler ersten Verfassung Frankreichs ausgesprochen. Der Governor 
oder Präsident wie der König sind Volksrepräsentanten, sie sind
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.