Zweites Kapitel. Die Methodik der Staatslehre. öl
Erscheinung kommt, betrachtet werden, widrigenfalls man nur
eine ganz schiefe und unzulängliche Vorstellung von ihr erhält.
Was mit richtigem Blicke der römische Jurist vom Zivilrecht be-
hauptet hat: daß in ihm jede Definition gefährlich sei, weil es
nicht schwer fällt, sie umzustoßen, das gilt von allen’ all-
gemeinen Sätzen auf dem Gesamtgebiete der Gesellschaftswissen-
schaften. Die Fülle des Lebens läßt sich ‚eben nicht in enge
Schablonen pressen. Erweitert man aber diese Schablonen, so
sind sie entweder so nichtssagend und selbstverständlich, daß
sıe kaum noch wissenschaftlichen Wert besitzen, oder so un-
richtig, daß auch oberflächliche Kritik sie ohne weiteres zu ver-
neinen vermag!).
Ist nun aber der Gesamtlauf des historischen Geschehens
bei der Natur unserer wissenschaftlichen Mittel und Methoden
in endgültiger Weise überhaupt nicht zu erfassen, so verringern
sich doch die der Erkenntnis sich entgegenstellenden Schwierig-
keiten, wenn man bestimmte Seiten des menschlichen Geniein-
lebens hervorhebt und der Erforschung unterwirft. Alle solche
wissenschaftliche Isolierung ist zwar, weil das Leben in un-
gebrochener Einheit zeigt, was der Verstand trennt, von vorn-
herein mit gewissen Fehlern behaftet, die ındes ohne Mühe durch
die besonnene Überlegung ausgeglichen werden können; daß die
so erlangte Erkenntnis nicht die endgültige ist, sondern fort-
während der Korrektur durch die Verbindung mit den durch
die theoretische Isolierung des Objektes ausgeschiedenen Gebieten
bedarf.
Bei solcher Isolierung werden nun aus dem Bereiche des
Individuellen weite Strecken gleichsam abgeschnitten, so daß das
Verhältnis der generellen zu den ındıvıduellen Faktoren zu-
gunsten der ersteren steigt. So wırd z. B. der Jurist, indem er
das Rechtsleben des Volkes isoliert, die Individuen nur in ihrem
Verhältnis zur Rechtsordnung betrachten, bei welchem Verfahren
eine Fülle der bedeutsamsten Unterschiede unter den Menschen
ignoriert werden und bis zu einem gewissen Grade ignoriert
werden können. Der Mensch wird nach Alter und Geschlecht,
nach Beruf und Stand, nach sorgfältiger und leichtsinniger, nach
1) Vorzügliche Ausführungen über die „ewigen Wahrheiten“ auf
historisch-sozialem Gebiete bei Engels a.a.0. S.83ff., die allerdings
merkwürdig mit den Marx-Engelsschen Versuchen einer endgültigen Ge-
schichtskonstruktion im sozialistischen Sinne kontrastieren.