604 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
Staates entsprechen, denn bei aller Berührung, die er zwischen
den Trägern der Gewalten statuiert, bleiben die Funktionen der
einzelnen Gewalten für ihn streng geschieden. Der Chef der voll-
zichenden Gewalt übt die facult& d’empächer, nicht die faculte
de statuer aus, wenn er sein Veto gegen ein Gesetz einlegt, hat
also keinen positiven Anteil an der Gesetzgebung. Die gesetz-
gebende Gewalt kann zwar nicht der vollziehenden Einhalt tun,
wohl aber steht ihr die Prüfung der Art und Weise zu, in der
diese die Gesetze ausführt!),. Die einzige Ausnahme macht
Montesquieu für die Gerichtsbarkeit des Oberhauses. Da es
ihm unbekannt ist, daß das Haus der Lords der höchste Ge-
richtshof Englands ist, so führt er für die ihm bekannten Fälle
der Rechtsprechung dieses Tribunals Zweckmäßigkeitsgründe an,
um diese Abweichung von dem sonst konsequent festgehaltenen
Prinzip zu rechtiertigen.
Prüft man die Lehre Montesquieus unter dem Gesichts-
punkte der Funktionentheorie, so ergibt sich, daß er gleich allen
seinen Vorgängern aus der Verschiedenheit der Subjekte den
Rückschluß auf eine Verschiedenheit der von diesen versehenen
objektiven Tätigkeiten gemacht hat. Der bedeutende Unterschied
aber zwischen ihm und all seinen Vorgängern besteht darin, daß
in seinem Idealbilde des Staates der subjektive und der objektive
Unterschied sich durchweg decken sollen, während von Aristo-
teles bis auf Montesquieu zwar auf den Unterschied der
Subjekte die Erkenntnis objektiver Unterschiede gegründet, jedoch
nicht der geringste Anstoß daran genommen wird, daß dieselben
Personen an der Ausübung mehrerer oder aller Funktionen be-
teiligt sind. Dieselben Personen können nach Arıstoteles im
Rat, in der Regierung, im Gericht sitzen, während bei Locke
der Monarch an allen Staatstätigkeiten teilnimmt.
Aus dieser seiner Auffassung mußte $ich aber für Montes-
1) Darin liegen aber zweifellos Abweichungen von dem Prinzip der
Gewaltenteillung. Die Ausübung des Vetos ist ıhrer Natur nach kein
Akt der Vollziehung, sondern bedeutet, auch in der Weise, wie sie
Montesquieu sich denkt, einen Anteil an dem Prozeß der (esetz-
gebung, wie ja auch eine gegen die Beschlüsse der anderen stimmende
Kammer Gesetzgebung übt. Das erkennt Montesquieu selbst an, wenn
er von dem Veto des Oberhauses bei Geldbewilligungen sagt, daß es
„n’ait de part A la legislation que par sa facult& d’empächer“. Ebenso
ist die Kontrolle der Regierung nicht Gesetzgebungsakt. So nimmt denn
jede Gewalt von der anderen das Mittel, um das Gleichgewicht zwischen
ihnen zu erhalten.