Achtzehntes Kapitel. Die Funktionen des Staates. 605
quieu ergeben, daß in der nichtenglischen Welt stets mehrere
Gewalten in einem Subjekte vereinigt sind. Nur im Idealstaate
decken sich die Gewalten subjektiv und objektiv. In allen anderen
Staaten hätte er den Gegensatz von materiellen (objektiven) und
formellen (subjektiven) Funktionen feststellen müssen. Er spricht
ausdrücklich von Staaten, in welchen zwei oder alle Gewalten in
einer Hand vereinigt sind; sie bleiben demnach in ihrem Wesen
auch dann getrennt, wenn diese Trennung nach Subjekten nicht
sichtbar wird!). Er verfolgt jedoch diesen Gedankengang nicht
weiter, wie denn auch bei ihm nur ein dürftiger Ansatz zu einer
Untersuchung darüber vorhanden ist, was denn Gegenstand der
Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung sei.
Spätere Lehren haben die Einteilung Montesquieus zu
verbessern, allein keine völlig neue an ihre Stelle zu setzen ge:-
sucht. Jenes Gleichgewicht der Gewalten, von dem Montesquieu
die Erhaltung der Freiheit erhoffte, erscheint anderen entweder
als den Staatsprinzipien widersprechend oder als unrealisierbar.
Die Volkssouveränetätslehre Rousseaus ruht auf dem Gedanken
der Gewaltenvereinigung im Volke, unterscheidet aber die un-
vertretbare Gesetzgebung von der Regierung, die einem corps
intermediaire zwischen Volk und Individuum anvertraut werden
kann und die sich zum Volkswillen wie die Kraft zum Willen
verhält, daher ihm strikt untergeordnet ist?). Unter Einwirkung
Rousseaus hat die französische Revolution die Montes-
quieusche Lehre mit der bedeutsamen Modifikation angenommen,
daß die gesetzgebende Gewalt die höchste sei. Clermont-
Tonn&re und ihm folgend Benjamin Constant haben sodann
ein pouvoir royal oder pouvoir .neutre konstruiert). Diese
königliche Gewalt ist nach dem Vorbilde der englischen Prä-
rogative gebildet?) und soll dazu dienen, dem Könige im parlamen-
tarısch regierten Staate überhaupt theoretische Existenzberechtigung
zu verschaffen, da in diesem die vollziehende Gewalt dem Mini-
sterium zusteht, nach der Dreiteillung Montesquieus daher
für den König gar nichts übrig bliebe. In Deutschland hat man
die drei Gewalten zu forınellen Hoheitsrechten umzubilden und
ihnen ein oder das andere von den alten Majestätsrechten als
1) So X112, 14, 16—20.
2) Contr. soc. 112, III 1.
®) Constant Cours de politique const.I p.18ff.
4 Constant I p.180ff.