Full text: Allgemeine Staatslehre

32 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen. 
böser und fahrlässiger Handlungsweise vom Recht erfaßt und 
beurteilt. Die feineren Nuancen der Persönlichkeit aber entgehen 
dem Blicke des Richters und Rechtslehrers. Ihnen genügen Caius 
und Titius, der Kläger und der Beklagte, die in ähnlicher Weise 
ein Allgemeines darstellen wie die Töne in der Akustik oder die 
Farben in der Optik. In der Wirklichkeit des Lebens aber 
individualisieren sich alle Rechtsgeschäfte und Delikte, da gilt der 
alte Satz: sı duo faciunt idem, non .est idem. Die Käufe, Jie 
auf dem Wochenmarkte abgeschlossen werden, fallen für den 
Juristen der großen Mehrzahl nach unter ein und denselben 
Typus. Naeh ihren wirtschaftlichen Voraussetzungen und Zwecken, 
ihrer Bedeutung für eine jede einzelne Haushaltung findet aber 
auch unter ihnen die größte Mannigfaltigkeit statt, die für den 
von hohem Interesse ist, der den Verkehr .des täglıchen Lebens 
nach seiner volkswirtschaftlichen, statistischen, hygienischen usw. 
Seite, die der juristischen Betrachtung entgehen, kennen lernen 
will. Und sicherlich ist der Jurist, der seine Betrachtungsweise 
der Lebensverhältnisse für die einzig richtige hält, keın Mann 
der Wissenschaft im vollen Sinne. Geht doch alle Umbildung 
und Fortbildung des Rechtes in erster Linie von der Erkenntnis 
dessen aus, was vor und hınter dem Rechte legt. 
Ist aber auch bei dem isolierten Objekt die Wirkung der 
individualisierenden Elemente verhältnismäßig geringer, so fehlt 
sie doch auch in solehem Falle nicht. Daher die vielen Aus- 
nahmen, welche die Rechtsregeln durchbrechen. Daher die Er- 
scheinung, daß der Gesetzgeber im Privatrecht zwar Rechtstypen 
aufstellt, aber dem Privatwillen weitgehende Abweichungen vom 
Typus gestattet: das dispositive Recht ist das Erzeugnis des 
Individualismus, der auch das Rechtsleben durchdringt. Im Straf- 
recht dienen die relativen Strafandrohungen, die Strafzumessungs- 
und Ausschließungsgründe dazu, um das streng individuelle Element 
im Delikt zum rechtlichen Ausdruck zu bringen. Je allgemeiner 
ein Rechtssatz ist, desto mehr Ausnahmen von ihm müssen fest- 
gestellt werden, desto weniger kann man mit Bestimmtheit darauf 
rechnen, ihn durch den Einzelfall bestätigt zu finden. An der 
Klippc der individualisierenden Elemente scheitert jeder Versuch 
weitgehender Generalisierung im Rechte. Das Naturrecht, aus 
lauter allgemeinen Sätzen bestehend, die entweder gar nicht oder 
nirgends vollständig verwirklicht werden, ist darum das schärfste 
Gegenbild zum positiven Rechte.
	        
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