Full text: Allgemeine Staatslehre

622 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
3. Ein weiterer wichtiger Gegensatz ist der zwischen 
obrigkeitlicher und sozialer Tätigkeit, der dem zwischen 
freier und gebundencr Tätigkeit scheinbar verwandt, aber dennoch 
von ihm geschieden ist. Es kann nämlich die obrigkeitliche 
Tätigkeit ganz frei, die soziale durch Rechtsregeln gebunden sein. 
Aus den früheren Untersuchungen bereits hat sich ergeben, 
daß der Staat zwar sein \esen und seine Rechtfertigung in 
der Innehabung und dem Besitz der Herrschaft findet, aber nicht 
ausschließlich auf sie beschränkt ist. Durch die Gemeinsamkeit 
der Herrschaft werden die ihr Unterworfenen Genossen. Die 
Förderung genossenschaftlicher Zwecke durch gesellschaftliche 
Mittel ist in stetig steigendem Maße Staatsaufgabe geworden. 
Was aber hier theoretisch geschieden wird, ist in der Einheit 
des staatlichen Lebens ungebrochen vereinigt. Die obrigkeitlichen 
Funktionen haben notwendigerweise auch soziale Wirkungen, die 
nicht nur unbeabsichtigt auftreten. Mit jedem neuen Rechtssatz 
wird eine Änderung der sozialen Zustände in mehr oder minder 
meßbarer Weise herbeigeführt. Der Gesctzgeber zieht diese 
Änderungen, soweit sie berechenbar sind, wohl in Betracht 
und beabsichtigt daher, soziale Wirkungen durch seine Tätig- 
keit zu erzielen. Durch Rechtssätze und Rechtszwang werden 
nationale Selbständigkeit und Macht, wirtschaftliches und geistiges 
Leben des Volkes auch gefördert, also soziale Resultate durch 
obrigkeitliche Macht bewirkt. Anderseits aber bedarf wieder die 
soziale Tätigkeit, die sich in der Verwaltung offenbart, der obrig- 
keitlichen Gewalt, ohne welche sie auf weiten Gebieten ihre 
Zwecke nicht zu erreichen vermöchte. 
Diese Scheidung zwischen dem herrschaftlich und 
gesellschaftlich handelnden Staate ist nicht etwa nur von 
rechtlicher Bedeutung. Je nachdem das eine oder das andere 
Moment in einem staatlichen Wirkungsgebiete überwiegt, wird 
dieses nach allen Seiten hin verschieden ausgestaltet. Je mehr 
die gesellschaftliche Seite überwiegt, desto weniger unabhängig 
ist die Staatsgewalt von den ihr Unterworfenen, desto mehr tritt 
sie in den Dienst des einzelnen. Das zeigt sich deutlich in 
der Ausbildung der Rechtsinstitute, die der Staat auf solchem 
Boden schafft. In den öffentlichen Anstalten, die er der all- 
gemeinen Benutzung darbietet, steigt er von seiner Höhe herab 
und nähert sich dem einzelnen. Noch immer kann er sich auch 
in solcher Stellung mit Privilegien umgeben, sich dem Privatrecht
	        
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