Full text: Allgemeine Staatslehre

Neunzehntes Kapitel. Die Gliederung des Staates. 629 
nicht wundernehmen kann. Den Engländern ist die Regierungs- 
form ihres Staates das self-government, dessen Spitze das Parla- 
ment bildet. Den Gegensatz zum self-government bildet das go- 
vernment by prerogative, die Regierung durch den einseitigen, von 
keiner Macht gebundenen königlichen Willen. Es ist die alte An- 
schauung von dem zu innerer Einheit nicht gediehenen Gegensatz 
von König und Volk, die im Begriffe des self-government nach- 
wirkt. Diese Selbstregierung beginnt aber in der Verwaltung 
der lokalen Angelegenheiten, die entweder ausschließlich oder 
doch unter Mitwirkung von Männern vorgenommen wird, die, 
nur dem Gesetze, nicht auch den Dienstbefehlen der jeweiligen 
königlichen Zentralregierung untertan, aus dem Kreise der Inter- 
essenten der lokalen Verwaltung, welche nach englischer Auf- 
fassung auch die Rechtsprechung umfaßt, entnommen werden. 
Die Institution der Friedensrichter und anderer Ehrenbeamten, 
ferner auch die Jury gehören diesem politischen System der 
lokalen Selbstregierung an, dessen rechtliche Art später zu er- 
örtern sein wird. 
Anders hat sich auf dem Kontinente der terminologisch nur 
in der deutschen Literatur vorhandene und da zuerst ganz un- 
klar gedachte Begriff der Selbstverwaltung gebildet!). Trotzdem 
auf dem Kontinente die englischen Verhältnisse, wie sie bis zu 
den großen Reformen des 19. Jahrhunderts sich gebildet hatten, 
vor den epochemachenden Arbeiten Gneists in ihrer wahren 
Gestalt fast unbekannt waren, hegte man dennoch in weiten 
Kreisen die Empfindung, daß die bloße Anteilnahme des Volkes 
an der konstitutionellen Gesetzgebung weder genüge, um die Ge- 
setzlichkeit der Verwaltung zu sichern, noch um dem Volke 
den gebührenden Anteil an dem öffentlichen Leben einzu- 
räumen. Entsprechend den von den englischen gänzlich ab- 
weichenden kontinentalen Verhältnissen wird die Wiederbelebung 
  
1) Das Wort ist wahrscheinlich aus einer Abkürzung von „selb- 
ständiger Verwaltung‘ der Gemeinden entstanden, worunter aber in erster 
Linie dıce von staatlicher Bevormundung freie Vermögensverwaltung be- 
griffen wurde. So faßt wenigstens noch Zöpfl, Grundsätze II S. 481ff., 
die Selbstverwaltung auf, soviel ich sehe, der erste bekannte staats- 
rechtliche Schriftsteller, der diesen Ausdruck gebraucht. Die Frankfurter 
Reichsverfassung vom 28. März 1849 hingegen spricht der Gemeinde als 
Grundrecht zu ‚die selbständige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegen- 
heiten mit Einschluß der Ortspolizei‘ (8184). Darauf ist wohl der um- 
fassendere Begriff der Selbstverwaltung zurückzuführen.
	        
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