648 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
ein Idealtypus gewesen, erst nach Überwindung der iittelalter-
lichen Zweiung in die Wirklichkeit hinausgetreten. In vielen
Fällen hat jedoch auch später die Realität der theoretischen
Forderung der vollkommenen Staatseinheit nicht entsprochen. So-
lange das Schwergewicht der staatlichen Einheit ın die Einheit-
lichkeit der Monarchenpersönlichkeit gelegt wurde, konnten die
größten Besonderheiten einzelner Staatsteile mit dieser Einheit-
lichkeit zusammen bestehen, ohne daß die Theorie daran Anstoß
nahm. Es ist schon erwähnt worden, daß manche Staaten früher
mehr einem Provinzenbündel als einer inneren Einheit glichen.
In absoluten Monarchien oder solchen mit unentwickelter stän-
discher Verfassung konnte trotz aller Verschiedenheiten in der pro-
vinziellen Organisation, trotz allem Partikularismus in Gesetz-
gebung und Verwaltung zwar von einem sozialen, nicht aber von
einem politischen Sonderleben der also sichtlich voneinander ge-
schiedenen Glieder gesprochen werden.
Indes ıst auch schon in diesen Zeiten das geringe Maß von
staatlicher Einheit, mit dem die staatsrechtliche Theorie sich
zufrieden gab, um ein Gebilde als Staat zu charakterisieren,
nicht immer vorhanden gewesen. Da, wo der Herrscher Recht und
Macht hatte, die bestehenden Besonderheiten zu beschränken
und aufzuheben, konnten diese nur als Prekarium betrachtet
werden, das den einheitlichen Charakter des Staates zu zerstören
nicht imstande war. Anders dort aber, wo namentlich aus-
gebildete ständische Institutionen die Eigentümlichkeiten der Teile
in scharfer Weise hervortreten ließen.
Sobald man sich mit solchen Gebilden ernsthaft zu be-
schäftigen anfing, bemerkte man, daß die hergebrachten Schul-
typen nicht ausreichten, um sie genügend zu erklären. Da wurde
denn zu Hilfsbegriffen Zuflucht genommen. Von ihnen sind
namentlich zwei zu erwähnen. Der vieldeutige Begriff der Real-
union wird dort angewendet, wo eine Mehrheit von Gebieten zu
einer unvollkommenen Einheit zusammengeschmolzen war, und
die Kategorie der unvollkommenen Inkorporation aufgestellt, um
die Besonderheiten eines einem Staate zugewachsenen Gebietes
zu erklären, dem verfassungsmäßig eine weitgehende Selbständig-
zu können. Über die Eigentümlichkeit der drei oldenburgischen Gebiets-
teile W.Schücking Das Staatsrecht des Großherzogtums Oldenburg
1911 S. 17££.