Neunzehntes Kapitel. Die Gliederung des Staates. 657
4. Für alle diese Bildungen ist der Name des Landes der
passende, um so mehr, als er häufig in der offiziellen Sprache
der betreffenden Staaten für sie verwendet wird. Man wird als
Land (Staatsfragment) zusammenfassend definieren können Be-
Norwegen) Das staatsrechtliche Verhältnis zwischen Finnland und Ruß-
land 1909 S.35ff. Das ausgesprochene politische Ziel dieser Schriften,
wie anderer (vgl. auch die von mir, Staatsfragmente S.43f., zitierte
Literatur) ist es, das Recht Finnlands gegen Rußland auf seinen staat-
lichen Charakter zu gründen. Keine von ihnen beantwortet aber die
naheliegende Frage, welcher Rechtssatz dem Kaiser von Rußland ver-
bietet, den von ıhm rechtlich getrennt zu denkenden Großfürsten von
Finnland, dem er doch natürlich nicht den Krieg erklären kann, durch
andere Zwangsmittel sich zu unterwerfen, wenn es die Interessen des
zussischen Reiches nach dem Gutdünken seines Selbstherrschers cer-
heischen sollten. Ist Finnland ein Staat, dann ist es zwar gegen
verfassungswidrige Handlungen des finnländischen Monarchen rechtlich
sichergestelli, keineswegs aber gegen Angriffe Rußlands, das gemäß
dem weiten Spielraum, den das Völkerrecht der Politik läßt, unter
Umständen selbst die Existenz eines mit ihm dauernd verbündeten Staates
zu vernichten befugt ist. Nur nach der von mir vertretenen Auffassung
ist solches Vorgehen als Verfassungsbruch von seiten Rußlands zu be-
zeichnen. Das sei ausdrücklich betont, weil man sich zu meinem Leid-
wesen in offiziellen russischen Kreisen auf meine Ansichten zu berufen
pflegte, um die verfassungswidrige Unterdrückung Finnlands zu recht-
fertigen. — An dieser Auffassung hat G. Jellinek bis zu seinem Tode
festgehalten, wie Erich in den Blättern für vergleichende Rechtswissen-
schaft und Volkswirtschaftslehre IX 1913 Sp. 68ff. treffend dartut. Einen
Bruch der Verfassung bedeutet daher das russische Gesetz vom 17. Juni
1910, das die wichtigsten Zuständigkeiten des finnländischen Landtags
auf die Reichsduma und den Reichsrat übertrug. Die Verfassungswidrig-
keit des Gesetzes hat freilich keinen notwendigen Einfluß auf seine
Rechtsgültigkeit. Von finnländischer Seite wird sie bestritten: Erich
Das Staatsrecht des Großfürstentums Finnland 1912 S. 13ff., 234 ff, von
russischer Seite nicht in Frage gestellt: Gribowski Das Staatsrecht
des Russischen Reiches 1912 S. 26, 76ff.; wie G. wohl auch Palme,
Die russische Verfassung 1910 S.91f. Da Rußland die Gewalt ın Händen
hat und zu gebrauchen gewillt ist, läßt sich zur Zeit, die ja eine Über-
gangszeit sein kann, die Rechtsgültigkeit des Gesetzes kaum verneinen.
Machtloses Recht ist eben kein Recht, und Dürfen ist etwas anderes als
Können. Der Zustand ähnelt demjenigen nach einer geglückten Revolution.
Auch nach dem neuen Gesetz ist übrigens Finnland ein Land, ein Staats-
fragment geblieben, freilich mit unbedeutendem Wirkungsgebiet. Nach
Erich, S. 226ff. (auch Arch. f.ö.R. XXIV 1909 S. 499 ff.), soll Finnland
ein Staat sein, der mit Rußland in einer Staatenverbindung sui generis
steht; mit dieser Erklärung ist aber kaum viel gewonnen. Auch dürfte
sie nicht stichhaltig sein. Wenn man sich Finnland wegdenkt, bleibt
G. Jellinek, Allg. Staatslehre. 3. Aufl. 42