Full text: Allgemeine Staatslehre

Zwanzigstes Kapitel. Die Staatsformen. 663 
werden durch sie vielmehr Schablonen gebildet, die uns von dem 
Leben des Staates als solchem, d.h. von seiner Willensbildung 
and seinem Verhältnisse zu seinen Gliedern, entweder gar keine 
oder doch nur höchst kümmerliche Kunde geben. Teile ich 
z.B. die Staaten in Ackerbau-, Handel- und Industriestaaten ein, 
so geben mir diese Etiketten keinen wie immer gearteten Auf- 
schluß über den Bau dieser Staatengruppen, also über das, was 
den Staat zum Staat macht. Es ist, wie wenn man die Säuge- 
tiere nach Größe, Farbe, Nutzbarkeit und ähnlichen Merkmalen 
einteilte, die ja alle vorhanden, aber nicht das Unterscheidende 
der einzelnen Tiergattungen dieser Klasse bilden. Alle jene 
Einteilungen sind zudem notwendigerweise einseitig und will- 
kürlich, wie jede von nebensächlichen Elementen oder begleiten- 
den‘ Erscheinungen einer Gattung von Öbjekten ausgehende 
Klassifizierung. 
Daher knüpft sich auch, was ja schließlich der Zweck 
aller Klassifikation sein soll, keine tiefere wissenschaftliche Ein- 
sicht an alle diese Versuche, die Staaten selbst einer Gruppierung 
zu unterwerfen. Der Staat, wie alles Menschliche, ıst in seiner 
konkreten Erscheinung derart kompliziert, daß es vergebenes 
Bemühen ist, ihn in ärmliche Schablonen zu pressen, die den 
Anspruch erheben, die Fülle seines Daseins durch ein Schlag- 
wort zu erklären. So wenig es möglich ist, die Menschen durch 
allgemeine Kategorien, die sich auf Geschlecht, Alter, Tempera- 
ment usw. beziehen, zu begreifen; wie das Individuum dem 
mit solchen Schablonen Ausgerüsteten doch stets als eine selb- 
ständige, der Einordnung in jene Fächer spottende, durch 
sie niemals als eine ohne Rest verständliche Größe gegen- 
übertritt, so ist es auch mit den Individualitäten der Staaten. 
Dazu tritt aber noch überdies die historische Bedingtheit eines 
jeden konkreten Staates, die es verhindert, aus irgendeinem 
Merkmale seines Gebietes und Volkes eine tiefere Einsicht ge- 
währende Einteilung zu gewinnen. Der antike und moderne 
Handelsstaat z. B. sind vermöge der Unterschiede des Handels 
im Altertum und der Neuzeit derart voneinander geschieden, 
daß die Zusammenfassung etwa Athens und Englands unter einen 
gemeinsamen Oberbegriff keine Erweiterung unserer Kenntnis 
dieser Staaten herbeizuführen vermag. Die Einordnung beider 
Staaten in dieselbe Kategorie geschieht solchenfalls nicht kraft 
eines identischen, sondern nur kraft eines analogen Merkmals.
	        
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