Zwanzigstes Kapitel. Die Staatsformen. 665
dieselben, das Maß ihrer Veränderlichkeit ist in feste, eng-
umschriebene Grenzen gebannt. Sie bilden gleichsam das feste
Gerüst, an das sich die tausendfachen variabeln Elemente des
einzelnen Staates anschmiegen.
Welches aber ıst das oberste Einteilungsprinzip der Ver-
fassungen ? Die antike Lehre hat es, ausgehend von der 'Anzahl
der herrschenden Personen, in deren ethischen und sozialen Eigen-
schaften finden wollen. Damit wurde aber ebenfalls ein un-
bestimmtes und schwer zu bestimmendes Element in das Ein-
teilungsprinzip eingeführt, das im konkreten Falle die Möglichkeit
der Anwendung leicht versagen kann. Mit wissenschaftlicher
Sicherheit lassen sich unter allen Umständen nur die formalen
Momente der in der Verfassung ausgeprägten Willensverhältnisse
erkennen, die, von aller konkreten Besonderheit unberührt,
kraft rechtlicher Notwendigkeit im Staatsleben zum Ausdruck
kommen müssen. Daher ist eine wissenschaftlich befriedigende
Einteilung der Staatsformen nur als eine rechtliche Einteilung
möglich. Die Frage nach den Staatsformen ist ıdentisch mit der
nach den rechtlichen Unterschieden der Verfassungen!).
Das rechtliche Unterscheidungsprinzip ist aber kein anderes
als das nach der Art der staatlichen Willensbildung. Zwei
juristische Möglichkeiten sind hier gegeben. Entweder wird der
höchste, den Staat in Bewegung setzende Wille gemäß der Ver-
1) Der rechtlichen Form der Staaten gegenüber erkennt die
auf das reale geschichtliche Leben gerichtete Betrachtung deren poli-
tische Form. Die ist aber, wie alles Nichtrechtliche ım Staate, un-
sicher und unbestimmt. Von den stets wechselnden konkreten Ver-
nältnissen des Staates abhängig, ändert sie sich fortwährend, so daß es
kaum möglich, jedenfalls aber wenig ersprießlich ist, diese Moment-
bilder des Staates in feste Kategorien zu bannen. Politisch war Athen
zur Zeit des Perikles Einherrschaft, Rußland stand unter Paul I. einige
Zeit unier der Herrschaft des allmächtigen Kammerdieners des Kaisers,
andere Monarchien wurden zeitweilig von Maitressen oder Beichtvätern
regiert, Staaten mit kräftiger monarchischer Macht haben vorübergehend
parlamentarische Regierungen gehabt usw. Solche Feststellungen sind
für die historische, soziale, politische Betrachtung des Einzelstaates von
Bedeutung, für das Recht aber können sie nur insofern Wert gewinnen,
als ein dauernder Gegensatz zwischen politischen und rechilichen Macht-
habern sich schließlich auch im Bau der Staaten ausprägen muß,
Darüber treffende Ausführungen von Piloty, Autorität und Staals-
gewalt, Jahrbuch der internat. Vereinigung für vergl. Rechtswissenschaft
VI 1903 S. 553 ff.