Zwanzigstes Kapitel. Die Staatsformen. 675
Nach Überwindung der naturrechtlichen Theorie vom Mon-
archenrecht durch die klare Erkenntnis der nicht aus dem vor-
staatlichen Volke abzuleitenden Einheit und körperschaftlichen
Natur des Staates ist in der deutschen Wissenschaft, zuerst in
tiefdringender Weise von Albrecht begründet, die Auffassung
des Monarchen als eines Gliedes und Organes des Staates, das
gemäß der Staatsordnung im staatlichen Interesse staatliche
Funktionen übt, die herrschende geworden, wean auch manche
Widersprüche und Unklarheiten in der Theorie des Monarchen-
rechtes noch nicht überall überwunden sind. Sie erklären sich
dadurch, daß die erörterten Monarchentvpen nicht immer rein
auftreten, derart, daß einer die Herrschaft des anderen völlig ab-
löst. Vielmehr überwindet selten der spätere Typus den früheren
gänzlich, sondern dieser zeigt häufig noch deutlich Spuren in einer
Epoche, die sonst einer ganz anderen Grundauffassung vom Staate
huldigt. Die Anschauung Ludwigs XIV. von der Monarchie hat
sich uns als aus allen Lehren von der Stellung des Königs zu-
sammengesetzt gezeigt. So ragen aber auch noch in unsere Zeit
Überreste ehemals herrschender Lehren hinüber. Auf den Nach-
klang theokratischer Anschauung vom Königsrecht in der Formel
„von Gottes Gnaden‘ haben wir bereits hingewiesen. Aber auch
die Salbung und Krönung von geistlicher Hand, wie sie heute
noch in England und Ungarn!) eine staatsrechtliche Pflicht des
Monarchen ist, ist auf sie zurückzuführen?). Der Krönungsakt
bezeichnet zugleich die Besitzeinweisung ; in ihr lebt auch die lehns-
1) Über die Bedeutung der ungarischen Krönung vgl. v.Viroszil
Das Staatsrecht des Königreichs Ungarn 1865 I S.299ff.; Marczali
Ung. Verfassungsrecht 1911 S.55ff.; Bernatzik Die österreichischen
Verfassungsgesetze 2.A, 1911 S.11. Erst der gekrönte König ist im
Vollbesitze der königlichen Rechte. Die Krönung des Kaisers von Ruß-
land (der sich selbst die Krone aufsetzt) scheint ausschließlich religiös-
symbolische Bedeutung zu haben, Vgl. Engelmann a.a.0. S.13;
Gribowski a.a.0. S.51 u.53,
2) Die englische Krönung wird seit der Bill of Rights aufgefaßt
als Beschwörung des Verfassungspaktes zwischen König und Reich.
Ihr geht voran die Anerkennung, indem der Erzbischof von Canterbury
das Volk fragt, ob es willig sei, dem Herrscher zu huldigen, worauf
dieses (bei der Krönung Viktorias und Eduards VII. durch die Schul-
jugend von Westminster repräsentiert) mit Akklamation antwortet. \gl.
Anson 3.ed. 1! p.235ff. Über Ähnlichkeiten bei der früheren fran-
zösischen Krönung vgl. Esmein Cours elementaire d’histoire du droit
francais, 5.ed. 1903 p. 317f.
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