Zwanzigstes Kapitel. Die Staatsformen. 689
ausgebildete politische Verhältnisse voraussetzt. Dennoch lassen
sich Überreste eines Königtums auf Zeit noch lange nachweisen.
Die römische Diktatur ist „eine monarchische Institution inner-
halb der republikanischen Ordnung‘!). Die Absetzungen mittel-
alterlicher Könige durch das Volk sind nach den Rechtsbegriffen
jener Zeiten nicht als Revolution zu bezeichnen, vielmehr aus
dem dualistischen Charakter des Staates und der Auffassung des
Königtums als einer Vertragspartei zu verstehen. Die Zulässig-
keit der Thronentsagung des Monarchen?), die Zeitlichkeit der
rechtlich an des Monarchen Stelle tretenden Regentschaft zeigen
auch heute noch die Möglichkeit begrenzter Regierungsdauer des
höchsten Staatsorganes. Nichtsdestoweniger wäre es unrichtig,
die Dauer der monarchischen Würde zum Einteilungsgrunde der
Monarchie zu wählen, weil namentlich vom Standpunkte des
modernen Staates die Lebenslänglichkeit der monarchischen Organ-
stellung grundsätzlich ein Essentiale des Monarchen geworden ist?).
Ebensowenig kann das Merkmal der Unverantwortlichkeit
zum Einteilungsprinzip der Monarchie erhoben werden. Im ent-
wickelten einheitlichen Staatswesen gilt notwendig der zuerst von
1) Mommsen Abriß S. 163.
2) Vgl. auch W. van Calker Hdbch.d. Politik I 1912 S. 137. Immer-
hin wird man Endigungsgründe, die vom Willen des Monarchen abhängen,
nicht als vollen Beweis gegen die Lebenslänglichkeit gelten lassen dürfen.
Auch der deutsche Richter kann auf Antrag aus dem Staatsdienst ent-
lassen werden, und doch ist er auf Lebenszeit ernannt.
3) Und doch sind auch heute Abweichungen von diesem Grundsatz
denkbar. In Sachsen-Coburg-Gotha bestimmt das Staatsgrundgesetz vom
3. Mai 1852 $9, daß der regierende König von England und der voraus-
sichtliche Thronfolger von der Nachfolge in die Regierung dieses deut-
schen Staates ausgeschlossen seien, dergestalt, daß die Regierung
sofort auf den nach ihnen zunächst berechtigten Prinzen übergeht. Ist
jedoch zur Zeit des Thronanfalls außer dem regierenden König oder
dem englischen Thronfolger oder beiden zusammen ein sukzessions-
fähiger Nachkomme aus der Speziallinie des Prinzen Albert nicht vor-
handen, so hat im ersten und letzten Falle der König, im zweiten der
Thronfolger die Regierung der Herzogtümer anzutreten und sie durch
einen Statthalter so lange führen zu lassen, bis sie von einem voll-
jährigen sukzessionsfähigen Prinzen aus der Speziallinie des Prinzen
Albert übernommen werden kann. Wenn dieser Fall sich ereignet, so
würde es in Koburg-Gotha einen Herzog auf Zeit geben (z.B. dem
König von England, der bei der Thronbesteigung von Koburg nur einen
Sohn hat, wird später ein zweiter geboren).
G. Jellinek, Allg. Staatslehre. 3. Aufl. 44