704 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
französischen Republik hat man, trotz der Absicht, die parla-
mentarische Regierungsform zur dauernden Institution zu er-
heben, ihr verfassungsgesetzlichen Ausdruck zu geben unter-
nommen!), indem man einsah, daß damit unter Umständen die
äußerste Schwächung, ja sogar Lähmung der Regierung verbunden
sein könnte?).
In Nachahmung englischer und der ihnen trotz der repu-
blikanischen Formen verwandten amerikanischen Institutionen
wird seit dem Anstoß, den die französische Revolution gegeben,
das konstitutionelle System in der kontinentalen Monarchie rezi-
piert. Demgemäß sind in allen diesen Staaten zwei unmittelbare
Organe vorhanden, die in Beziehung auf ihre Willenssphäre von-
einander ganz unabhängig sind, deren keines also der Befehls-
oder Zwangsgewalt des anderen unterstellt ist. Der Monarch
kann das Parlament innerhalb der gesetzlichen Grenzen zwar
ın und außer Tätigkeit setzen, der Inhalt dieser Tätigkeit aber
ist seiner Gewalt entrückt; und ebenso kann das Parlament durch
seinen Willen Akte des Monarchen hindern, auch auf dessen
Entschließungen durch Ausübung seiner Befugnisse Einfluß
nehmen, kann aber seinen Willen dem Monarchen niemals recht-
—
1) „Iheoriquement, c’est le President de la Republique qui forme
ie ministere; et aucun texte ne lui defend de prendre ses ministres,
oü ıl veut et comme il lui plait, de les choisir lJui-möme un ä& un, pour
les grouper ensuite comme il le peut.‘ Lefebvre Etude sur les lois
constitutionelles de 1875, Paris 1882, p. 103. In der Tat hat Mac Mahon
am 23. November 1877 das außerparlamentarische Ministerium Rochebouet
ernannt, mit dem jedoch die Deputiertenkammer in Beziehung zu treten
sich weigerte, und das bereits am 13. Dezember 1877 dem Kabinett
Dufaure Platz machte.
?) Verfassungsmäßig festgelegt wurde die parlamentarische Regierung
nur in einigen englischen Kolonien. Namentlich ist es von Bedeutung,
daß die Minister in Australien (Verf. des Commonwealth of Australia,
Art. 64) ihr Amt nicht länger als drei Monate führen dürfen, wenn sie
nicht Mitglieder des Bundesparlamentes sind. Da aber die englische
Krone australischen Gesetzen ihre Zustimmung verweigern kann und
für solehen Akt keine Verantwortlichkeit der australischen Minister
gegenüber dem Bundesparlamente, sondern nur der Reichsminister
gegenüber dem Reichsparlamente existiert, so ist schon deshalb die
parlamentarische Beschränkung der Krone durch die koloniale Regierung
eine unvollkommene, wozu aber noch die bedeutsame Tatsache kommt,
daß in wichtigen Punkten die Reichsgesetzgebung und Reichsverwaltung
sich auf die gesamten Kolonien erstreckt. (Vgl. z.B. Moore a.a.0.
p- 167 ff. (2. ed. p. 255££.); Hatschek St.u. V.R.v. Australien 1910 S., 16.)