Full text: Allgemeine Staatslehre

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Zwanzigstes Kapitel. Die Staatsformen. ‘09 
einer langen geschichtlichen Entwicklung, ist sie auf dem Kon- 
tinente Ergebnis abstrakter Theorien. Daher unterscheidet sich 
in Wirklichkeit auch die kontinentale Abart der parlamentarischen 
Monarchie in bedeutsamer Weise von dem britischen Originale. 
Die Engländer mit ihren regierungsfähigen Parteien und der 
Erkenntnis der Bedeutung einer starken Regierung haben zwar 
nicht der Krone, wohl aber dem Kabinett, trotz aller parla- 
mentarischen Einflüsse, Kontrolle und Mitwirkung bei der Ver- 
waltung, das Schwergewicht der Staatsleitung erhalten, während 
auf dem Kontinente in Verkehrung des natürlichen Verhältnisses 
das Parlament häufig das Kabinett als seinen untergeordneten, 
von seinen jeweiligen Weisungen abhängigen Diener betrachtet!). 
Überdies individualisiert sich, wie nicht anders möglich, das 
kontinentale parlamentarische System in jedem Staate in eigen- 
tümlicher Weise. Dies näher zu verfolgen, ist Aufgabe der spe- 
ziellen Staatslehre?). 
Da die konstitutionelle Monarchie derart zwei Typen auf- 
weist, so gibt es auch für die rechtliche Stellung der Kammern 
zwei Möglichkeiten. Entweder den Kammern wird gemäß der 
Verfassung ein selbständiger, staatliche Hoheitsakte erzeugender 
Wille zugeschrieben oder nicht. In England ist das Gesetz ge- 
meinschaftlicher Willensakt beider Häuser des Parlaments und 
des Königs. Das Parlament befiehlt: be it enacted by the Kings 
most excellent Majesty by and with the advice and consent of 
the Lords spiritual and temporal and the Commons in this 
present Parliament assembled and by the authority of the same. 
Ausdrücklich gilt das Gesetz auf Grund der Autorität des Parla- 
mentes, das derart an der Substanz des gesetzgeberischen Willens- 
aktes selbst teil hat. In kontinentalen Staaten mit königlicher 
Vorherrschaft jedoch ist der gesetzgeberische Willensakt aus- 
schließlich Akt des Monarchen, dem das Parlament seine Zu- 
stimmung erteilt hat. Dort ist das Parlament selbständiges, hier, 
wenigstens überwiegend, unselbständiges Organ. Grundsätzlich 
unterscheidet es sich aber vom Monarchen überall dadurch, daß 
es allein keinen unmittelbar die Untertanen verpflichtenden Akt 
  
1) Dieses System und seine bedenklichen Folgen sind in einer auch 
auf die parlamentarische Monarchie des Kontinents passenden Weise 
gründlich beleuchtet von d’Eichthal, p. 218{f. Vgl. auch E.Loening 
Die Repräsentativverfassung im XIX. Jahrhundert 1899 S.26 ff. 
*”) Besondere Staatslehre, Ausg. Schriften und Reden II S.280 ff.
	        
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