Full text: Allgemeine Staatslehre

Zwanzigstes Kapitel. Die Staatsformen. 721 
waren, solange die gesellschaftliche Basis für aristokratische und 
monarchische Institutionen mangelte, sowie von den Verfassungen 
einiger frei gebliebenen Bauernschaften, so ist das, was im Mlittel- 
alter bei den germanisch-romanischen Völkern als Demokratie 
gilt, in Wahrheit aristokratische Republik oder Monarchie. Auch 
die Literatur hat, wenn sie unter dem Einflusse antiker An- 
schauungen vom populus spricht, fast niemals die ganze Volks- 
gemeinde, sondern nur die herrschenden Gesellschaftsklassen im 
Auge. Dazu kommen die mannigfach abgestuften Verhältnisse 
der Unfreiheit, die notwendig ihre Wirkung auf die staatliche 
Organisation äußern. Auch der Unfreie, sofern er nicht leibeigen, 
ist Staatsglied, nicht nur seinem Herrn, sondern auch der obersten 
Gerichtsgewalt des Königs unterworfen, wodurch allein schon ein 
höchst bedeutsamer Unterschied vom antiken Staate gegeben war, 
der nur die scharf voneinander getrennte politische und häusliche 
Gewalt kannte. Auch in den ihrer Natur nach auf republikanische 
Verfassung angelegten Städten ist der aristokratische Typus von 
Anfang an vor- und späterhin ausgebildet. 
Die neuere demokratische Republik ist mehr als jede andere 
Staatsform mit der Wirkung allgemeiner geistiger Mächte ver- 
bunden. Demokratische Ideen tauchen häufig im Mittelalter auf, 
nicht. minder literarische Versuche, den Monarchien eine demo- 
kratische Grundlage zu geben, oder Anpreisungen der Demokratie 
als der besten Staatsform. Niemals jedoch wird die Volksherr- 
schaft als die notwendige, einzig und allein zu Recht bestehende 
Staatsform behauptet, auch nicht von solchen, die jede Staats- 
wverfassung aus dem Willen des Volkes ableiten. Diese Forderung 
trıtt erst im Gefolge der politischen Lehren auf, die in den 
Kämpfen der Reformation gezeitigt wurden. An anderer Stelle 
wurde bereits ausgeführt, wie die Calvinsche Lehre von der Ge- 
meinde als Trägerin des Kirchenregiments in Schottland, Holland 
und England fortgebildet wird zu einer Theorie, die auch die 
weltliche Ordnung als Produkt des Gemeinwillens darstellt und 
die Forderung erhebt, daß dem durch Vertrag zum Staate ge- 
einten Volke dauernd die höchste Gewalt im Staate zustehen 
und von ihm auch ausgeübt werden solle. Diese Bewegung führt 
zunächst zu republikanischer Gestaltung des englischen Staates, 
die sich jedoch nicht zu behaupten vermag!). Die Monarchie 
  
1) Auch diese Republik war, wie ursprünglich die römische, wesent- 
lich nur Negation der vorübergehenden Monarchie; das damalige Eng- 
G. Jellinek, Allg. Staatsiehre. 3. Aufl. 46
	        
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