Zwanzigstes Kapitel. Die Staatsformen. 133
wohl sie im Wahlakt rechtlich nur als Kreationsorgan des Volkes
fungieren, auch abhängige. Namentlich die Aussicht auf eine
Wiederwahl ist geeignet, die Präsidenten oder regierenden
Kollegien den Kammern unterzuordnen. Nach der Art der
Organisation der Regierung aber gliedern sich die Staaten, je
nachdem einem Kollegium oder einem Individuum die Funktionen
jener obliegen. Der erste Tvpus dieser Unterart, früher in
Frankreich zur Zeit des Direktoriums und des Konsulates die
legale Form der Regierung, ist heute in der Schweiz und ihren
Kantonen sowie in den deutschen freien Städten verwirklicht.
Der zweite ist zuerst in den amerikanischen Einzelstaaten auf-
getaucht und sodann in der Union angenommen worden, von wo
er seinen Weg in die übrigen amerikanischen Republiken und
auch in das Frankreich der zweiten und dritten Republik ge-
funden hat. Der amerikanische Präsident ist bewußt nach dem
Vorbild des englischen Königs geschaffen worden. Die schon
unter der englischen Herrschaft bestehende Konzentrierung der
Exekutive in dem Gouverneur einer jeden Kolonie und die
Lehre Montesquieus von der Ersprießlichkeit der Vereinigung
der vollziehenden Gewalt in der Hand. eines einzigen haben dahin
geführt, daß eine monarchenähnliche Stellung des Leiters der Re-
gierung in der Republik zutagetritt und sich in Amerika ein
analoges Schauspiel zeigt wie in Rom, wo die Republik den
Umfang der königlichen Herrschaftsbefugnisse auch für die neuen
Magistrate fortbestehen ließt). Da zur Zeit der Schöpfung der
Union das parlamentarische Regierungssysiem in England noch
nicht in voller Klarheit vorhanden oder wenigstens noch ..nicht er-
kannt war, so ist es die Form des konstitutionellen, den Kammern
gegenüber selbständigen Königtums, das die Gestaltung der ameri-
kanischen Präsidentschaft derart bestimmt hat, daß eine parla-
mentarische Regierung durch das strikte Verbot des Zutritts der
Staatssekretäre in den Kongreß und den Mangel einer gesetz-
„elu de la nation‘ gegenüber der Kammer betrachtete, deren Mitglieder
nur je einen Bruchteil der Stimmen des Souveräns auf sich vereinigten.
Dieses Argument hat in den Rechtfertigungsversuchen des Staatsstreiches
keine geringe Rolle gespielt.
1) Sehr interessant in dieser Hinsicht sind die Ausführungen von
Hamilton Im ‚„Federalist‘“ Nr. LXIX—LXXVI, namentlich LXIX, worin
der Präsident dem König von England gegenübergestellt und der Nach-
weis geführt wird, daß das englische Königsrecht in den Befugnissen
des Präsidenten überall eine Einschränkung erfahren habe.