Binundzwanzigstes Kapitel. Die Staatenverbindungen. (47
auf einen solchen Staat rechtlich zugleich ein Angriff auf das
Gebiet des ihn beherrschenden Staates ist, wenn dieser die staats-
rechtliche Pflicht hat, die Angehörigen des Unterstaates als die
seinigen zu betrachten und ihnen demgemäß völkerrechtlichen
Schutz zu gewähren, wenn diese dauernde gesetzliche Pflichten
gegen den Oberstaat haben, dann ist ein solcher Staat von Rechts-
wegen als nichtsouverän zu bezeichnen. Steht diesen hingegen
trotz seiner Verbindung mit einem anderen ausschließlich die
rechtliche Herrschaft über sein Gebiet und sein Volk zu, so daß
dem anderen Staate nur vertragsmäßige Befugnisse, aber keine
von dem Willen des ersteren unabhängige Herrschaft eingeräumt
ist, dann ist, mag seine Lage politisch wie immer geartet sein,
der Staat souverän geblieben).
Dieselben Kriterien bestimmen auch den rechtlichen Charakter
ganz abnormer Verbindungsformen, wie z. B. des Verhältnisses
Waldecks zu Preußen auf Grund der Akzessionsverträge. Trotz-
dem nämlich Preußen die ganze Regierung Waldecks führt, ıst
dieses Fürstentum dennoch Preußen gegenüber rechtlich ganz
selbständig. Kein preußisches Gesetz hat in Waldeck Gesetzes-
kraft; Waldeck ist kein Bestandteil des preußischen Staats-
gebietes; die Waldeckschen Untertanen sind nicht preußische
Staatsangehörige, die von Preußen ernannten Beamten des Fürsten-
tums sind nicht preußische Beamte; der Waldecksche Bevoll-
mächtigte zum Bundesrat wird vom Fürsten ernannt, da dem
Fürsten die Vertretung des Staates nach außen vorbehalten ist?).
der Souveränetät, also in der völkerrechtlichen capitis deminutio be-
stehen soll. Das Entscheidende aber ist, daß Abhängigkeit keine
juristische, sondern eine soziale Kategorie ist. Juristisch
gibt es bloß Verhältnisse der Neben- oder der Unterordnung, nicht-
herrschaftliche oder herrschaftliche, tertium non datur. Läßt man einmal
juristische Abhängigkeitsverhältnisse nichtherrschaftlicher Natur zu, dann
wäre es mit der privatrechtlichen Unabhängigkeit der meisten Menschen
vorbei und die juristische Kategorie für die sozialistische Klage von der
Lohnsklaverei gefunden.
1) Ganz konsequent führt Pillet, Revue gen6rale de droit inter-
national public II 1895 p.598ff,, unter dem Gesichtspunkte, daß
protegierte Staaten nicht souverän seien, aus, daß dem beschützenden
Staate stets ein Herrschaftsrecht bezüglich der inneren Angelegenheiten
des Schutzstaates zukomme. Dagegen Rehm, Staatslehre S.86, der
scharfe Grenzen zwischen der Zuständigkeit beider Staaten gemäß den
das Protektorat begründenden Verträgen ziehen zu können vermeint.
2) Vgl. über diese Verhältnisse Böttcher Das Staatsrecht des