Einundzwanzigstes Kapitel. Die Staatenverbindungen. 761
keinen Zweck, da eine gemeinsame Verteidigung nach außen
nicht Sache deutscher Gliedstaaten ist. Die Realunion eines
deutschen Gliedstaates mit einem auswärtigen wäre, rein politisch
betrachtet, noch viel bedenklicher als die ohnehin von manchen
deutschen Verfassungen untersagte Personalunion. Sie ist aber
rechtlich ausgeschlossen. Realunion hat weitgehende Gemein-
samkeit der auswärtigen Angelegenheiten und die Verpflichtung
der unierten Staaten zu gemeinsamer Verteidigung zur Folge, ist
demnach auf dem Boden der geltenden Reichsverfassung nicht
zulässig).
Nicht unter den Begriff der Personal- oder Realunion fallen
gewisse Schwebezustände bei Übergang eines Staates oder Staats-
teiles in einen anderen Staat oder die der Bildung eines neuen
Staatswesens aus mehreren bisher getrennten unmittelbar voran-
gehende Vereinigung unter derselben Herrscherpersönlichkeit. So
wäre es unzulässig, die Abtretung der Lombardei (1859) und
Venetiens (1866) an Napoleon III., die nur kurze Übergänge zu
ihrer Eınverleibung in Italien waren, als Begründungen von
Personalunionen zwischen Frankreich und diesen Gebieten zu be-
zeichnen. Ebenso ist die Anwendung der Kategorie der Real-
union auf die Moldau und Walachei (1861—66) ausgeschlossen,
da diese Vereinigung beider Fürstentümer unter demselben Staats-
haupt nichts als der erste Versuch der Gründung des einheit-
lichen Rumäniens war. Nicht minder wäre es verfehlt, Schleswig
und Holstein-Lauenburg nach ihrer Abtretung von seiten Däne-
marks an Österreich und Preußen (1864—66) als mit diesen
beiden Mächten in Personal- oder Realunion stehende Herzog-
tümer aufzufassen. Auch der Verzicht Österreichs auf Lauen-
burg in der Gasteiner Konvention hat dieses Herzogtum bis zu
seiner Vereinigung mit Preußen (1865—76) in keine Realunion
mit dem preußischen Staate gebracht, vielmehr auch nur einen
Schwebezustand geschaffen. In all diesen Fällen fehlt es nämlich
an jedem Motiv für eine dauernde Verbindung mit getrennter
staatlicher Existenz der verbundenen Teile. Im Wesen der Real-
union aber liegt es, daß sie auf unabsehbar lange Zeit, also
1) Übereinstimmend G.Meyer, Staatsrecht S: 600 N. 33, der meine
Ausführungen, Staatenverbindungen S. 292, als auch gegen die Möglich-
keit einer Personalunion gerichtet auffaßt, während ich dort nur von
dem Eintritt eines Gliedstaates in einen Staatenbund oder eine Realunion
spreche.