Full text: Allgemeine Staatslehre

48 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen. 
Die Vorstellung, daß die Staatsschöpfung zugleich unbewußter 
und doch im Lichte des Bewußtseins sich vollziehender Vorgang 
sei, hat bereits den großen Denkern der Hellenen vorgeschwebt, 
die herkömmliche oberflächliche Darstellung als die Schöpfer der 
Theorie der ausschließlich natürlichen Staatsschöpfung bezeichnet. 
Für Plato und Aristoteles ist der Staat nichts Willkürliches. Mensch 
sein und im Staate leben, waren für sie untrennbar miteinander 
verknüpft. Gleich den Herdentieren oder vielmehr noch stärker 
zeigt nach Aristoteles der Mensch von Natur aus den Charakter 
als geselliges Wesen. Der Staat ist genetisch früher da als das 
Individuum, da der Teil nur aus dem Ganzen heraus begriffen 
werden kann, und was außerhalb des Staates lebt, ist entweder 
ein Gott oder ein Tier. Nichtsdestoweniger aber lassen diese 
Denker den Staat historisch durch zweckbewußte Handlungen der 
Individuen entstehen. Die Arbeitsteilung zwingt nach Plato die 
von dem Ergänzungsstreben beherrschten Menschen, zusammen- 
zutreten!), und nach Aristoteles sind es die trotz aller Herden- 
gefühle zunächst vereinzelt lebenden Menschen ?), die, von sozialen 
Instinkten geleitet, zuerst das Haus gründen, sodann die Dorf- 
gemeinde und schließlich den Staat, in welchem das menschliche 
Ergänzungsstreben seine volle Befriedigung findet. Obwohl der 
Trieb und die Anlage zum Staate allen Menschen gemeinsam sei, 
preist er dennoch denjenigen als den größten Wohltäter der 
Menschen, der den Staat zuerst zustande gebracht hat?°). In dem 
so gegründeten Staat aber findet sofort eine Entwicklung durch 
Bereicherung des ursprünglichen Zweckes statt. Entstanden um 
des bloßen Lebens willen, besteht der Staat od ed inV Evexa, 
des vollkommenen Lebens wegen. 
Die Lehre von der sozialen Zweckwandlung beleuchtet auch 
klar den Irrtum der Lehre von der organisierten Entstehung und 
Ausbildung sozialer Erscheinungen. In der Regel nimmt ınan 
organischen Ursprung und Werden einer Institution an, wenn ınan 
den Hergang dieses Entstehens und Werdens nicht oder nicht 
näher kennt. Weil wir nicht wissen, wie sich die Sache zu- 
getragen hat, meint man, daß das Bewußtsein an dem Hergang 
überhaupt keinen Anteil habe. Je ferner uns ein historischer 
  
I) Rep.II 369£f. Vgl. auch Gomperz Griechische Denker Il S. 370 £. 
2) „onopadss yoo' zal oürw TO apyalo» @xovy.“ Pol. 1,2 125%2b, 24 Bekk. 
9) „pvosı uev oUv 1) doun Ev näcıw Eni 1nv roLladuınv xoıvwvlar' 6 bE NOWTos 
ovornoas usylorwv ayadörv aitıos.“ ib. 12538, 30.
	        
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