768 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
Der Austritt aus einem Staatenbund ist Vertragsbruch, nicht
Auflehnung gegen eine Herrschaft. Mangel an Vertragstreue kann
unter Umständen rechtlich gerechtfertigt werden, Empörung gegen
eine verfassungsmäßig bestehende Gewalt niemals. „Das ultra
posse nemo obligatur kann durch keine Vertragsklausel außer
Kraft gesetzt werden; und ebensowenig läßt sich durch einen
Vertrag das Maß von Ernst und Kraftaufwand sicherstellen,
mit dem die Erfüllung geleistet werden wird, sobald das eigne
Interesse des Erfüllenden dem unterschriebenen Texte und seiner
früheren Auslegung nicht mehr zur Seite steht.“ 1) Zudem ist
selbst rechtlich die Auflösung eines jeden Staatenbundes möglich
durch einhelligen Beschluß seiner Gliedstaaten. Eine staatsrecht-
liche Verbindung hingegen kann niemals durch den Willen ihrer
Glieder von Rechtswegen gelöst werden. Der politische Selbst-
mord ist keine juristische Kategorie.
Vom politischen Standpunkte aus könnte gegen die hier
entwickelte juristische Auffassung eingewendet werden, daß die
Souveränetät der Gliedstaaten eines Staatenbundes nur bei großen
Staaten überhaupt einen Sinn habe, die kleineren Staaten hin-
gegen eine derartige faktische Unterordnung unter die Bundes-
gewalt zeigen, daß praktisch von. deren Souveränetät nicht mehr
die Rede sein könne. Diese Ansicht kann aber vom Rechte
nicht angenommen werden, weil kleine Staaten, auch wenn sie
außerhalb eines Bundesverhältnisses stehen, stets durch Rück-
sichtnahme auf die größeren, namentlich benachbarten Staaten
in ihrer Bewegungsfreiheit gehemmt sind. Deshalb wird man
aber auch einem kleinen Staate nicht den Rechtscharakter eines
souveränen absprechen dürfen, wie ja auch soziale Unterschiede
der Individuen und die durch sie hervorgerufenen sozialen Ab-
hängigkeitsverhältnisse keine Unterschiede in der Rechtsstellung
der Persönlichkeiten zu begründen imstande sind.
Vermöge dieser Souveränetät seiner Glieder ist aber der
Staatenbund eine höchst unbefriedigende Form dauernder Organi-
sation von Staaten, die durch bleibende gemeinsame Interessen
auf eine stete Verbindung angewiesen sind. Vornehmlich natio-
nale Gemeinschaft, sodann geschichtliche Zusammengehörigkeit
anderer Art, wie die der Unabhängigkeit vorausgegangene gemein-
same Unterordnung unter dieselbe Herrschaft, sind die Motive
1) Bismarck Gedanken und Erinnerungen II S. 249£.