Full text: Allgemeine Staatslehre

778 Drittes Buch. Allgemeine Staalsrechtslehre. 
zusehen, warum der Bundesstaat nicht durch Lösung jener Ver- 
einbarung oder durch einen neuen Gesamtakt wieder in seine 
Teile zerfallen könnte. Wie läßt sıch der absolute Verzicht der 
Staaten auf das Recht, den Vertrag aufzuheben, den Gesamtakt 
  
objektives Recht schaffen können. Doch ist und bleibt dieses Recht 
Völkerrecht. Wann aber ist der völkerrechtliche Satz aufgestellt worden, 
daß Bundesstaaten durch Vertrag entstehen können? Er ist weder 
vereinbart, noch beruht er auf dem Gewohnheitsrecht. Daher gehört 
er nicht dem ius gentium, sondern dem ius naturae an. v. Stengel, 
a.2.0. S.1125ff., richtet seine übrigens ganz unselbständige Polemik 
gegen meine Ansicht an die Adresse von Borel, der sich doch aus- 
drücklich, a.a.0. S. 72, auf mich beruft. Die Lehre von der vertrags- 
mäßigen Entstehung des Norddeutschen Bundes trägt in neuer Wendung 
vor Ed. Loening, Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches, 
4.A. 1913 S.19ff. Die Staaten hätten nämlich sich verpflichtet, die 
Gewalt, der sie sich zu unterwerfen hatten, selbst zu organisieren. 
Dabei wird aber die Grundfrage, wie und nach welchem Rechte Staaten 
eine von ihnen verschiedene Gewalt schaffen können, nicht gelöst. 
Ferner schwebt diese Gewalt, der sich die Staaten unterworfen haben 
sollen, zunächst in der Luft. Denn Staatsgewalt wurde sie erst durch 
die Unterwerfung, vorher war sie als Organisation eines noch nicht 
vorhandenen Staates ein rechtliches Nichts, dem sich daher auch kein 
Staat rechtlich unterwerfen konnte Anschütz, Enzyklopädie S. 506, 
gründet klarer als Loening den Bundesstaat auf völkerrechtliche Verein- 
barung, die eine fürderhin ausschließlich auf ihrem eigenen Willen 
ruhende staatliche Einheit ins Leben ruft, beweist aber das Dasein des 
entsprechenden Völkerrechtssatzes mit den von ihm behaupteten Rechts- 
wirkungen keineswegs, sondern setzt diese unauffindbare Rechtsnorm 
als gegeben voraus. Die jüngste Behauptung von Anschütz zu 
G.Meyer, S.180, hingegen, daß Staaten gewohnheitsrechtlich 
andere schaffen können (was bisher noch von niemand behauptet wurde), 
beruht auf einer Verwechslung von historischem Faktum und Recht. 
Mit der Verweisung auf Gewohnheitsrecht in solchen Fragen muß man 
überhaupt sehr vorsichtig sein, Nichts leichter als ein ‚Gewohnheits- 
recht“ auf Revolution aus der neuesten Geschichte der romanischen 
Völker zu deduzieren, auch für jeden internationalen Rechtsbruch lassen 
sich Präzedenzfälle in genügender Zahl anführen, um ihn „gewohnheits- 
rechtlich“ zu legalisieren. Und warum sollte der gewohnheitsrechtlich 
begründete Bundesstaat nicht durch seine Glieder wiederum gewohn- 
heitsrechtlich aufgelöst werden können, wenn diese nur von der recht- 
lichen Notwendigkeit ihres Tuns überzeugt sind? Vor allen derartigen 
Konstruktionen bewahrt eben die Einsicht, daß das System des öffent- 
lichen Rechtes kein geschlossenes ist und es auch nicht sein kann. 
Freilich hat der nicht enden wollende Streit über die Natur des Grün- 
dungsvorgangs einen tiefen logischen Grund; vgl. oben S.364f. N. 1 
am Ende.
	        
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