186 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
gesetzt. Die anderen völkerrechtlichen Verbindungen jedoch
sind ihrer ganzen Tendenz nach vorübergehender Art; sie führen
entweder zum Einheitsstaate oder zur Wiedcrauflösung des Ver-
bandes. Der Staatenstaat ist für die Gegenwart keine normale
Bildung mehr, sondern, wie die neueste Geschichte des türkischen
Reiches lehrt, ein Stadium im Zersetzungsprozesse eines zerfallenden
Staatswesens. Der Bundesstaat hingegen vermag die dauernde
Form für die Gestaltung des gemeinsamen Lebens einer Nation
oder einer durch gemeinsame Schicksale verbundenen Mehrheit
von Bruchteilen verschiedener Nationen abzugeben. Namentlich
ein großes Reich wird sich leichter in föderalistischer Form als
ın der eines, wenn auch noch so dezentralisiert gestalteten Einheits-
staates kräftig entfalten können. Deshalb ist dem Bundesstaate
noch eine große Rolle in der künftigen Gestaltung der zivili-
sierten Staatenwelt vorbehalten. Heute bereits ist er die herr-
schende Form auf dem amerikanischen Kontinente. Aber auch
das britische Reich wırd auf die Dauer seine Kolonien nur be-
wahren können, wenn es imstande ist, den Gedanken der Imperial
Federation zu verwirklichen, während es heute bereits politisch,
wenn auch nicht juristisch den Charakter eines überdies sehr
losen Staatenbundes trägt. Die germanische Welt, der schon
jetzt die führende Stelle in dem gesamten Staatensystem zusteht
und in Zukunft in noch höherem Grade zustehen wird, ist ge-
schichtlich darauf angewiesen, den Bundesstaat zur normalen
Form des politischen Daseins ihrer Völker zu erheben. Es sind
gegenwärtig nur kleinere germanische Staatswesen, wie die Nieder-
lande und Dänemark, die nicht bundesstaatlich gestaltet wären
oder einer solchen Gestaltung zustrebten. Norwegen hat zwar
das Band gelöst, das es bisher an Schweden knüpfte, doch ist
eine engere Verbindung der nordischen Staaten der Zukunft vor-
behalten. Verwirklicht ist der föderalistische Gedanke bereits
im Deutschen Reiche, der Schweiz und der nordamerikanischen
Union, während England seine germanischen Kolonien zu: werden-
den Staaten und künftigen Bundesgliedern heranzuziehen sucht.
Mit dem Fortschritte der föderalistischen Staatsidee wird
auch die Stellung der selbständigen Mittel- und Kleinstaaten im
Laufe der Zeiten verändert werden, da sie genötigt sein werden,
sich dereinst größeren Ganzen einzugliedern. Dadurch allein
kann auf die Dauer ihr Dasein garantiert werden. Denn das
ist der ungeheure Vorzug, den ein kleiner Staat durch den Ein-