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zu dem Blödesten und Vernunftlosesten greift, als Palladium der Ge-
sundheit, als Schutzmittel gegen Krankheit. Kein Mittel ist hier zu
schmutzig, zu widersinnig, zu grausam, um nicht gelegentlich begeisterte
Aufnahme zu finden. Unter dem Volke befinden sich noch immer allerhand
gedruckte Zauberbücher mit gar seltsam klingenden Titeln, deren man
nur schwer habhaft werden kann, da sie teuer erworben wurden und
gewissenlose Herumträger den Erfolg der darin verzeichneten Mittel
garantieren, wenn sie geheim gehalten werden. All das wüste Gemisch
erweckt in einem die Frage, ob die Menschen, die solchen Unsinn glauben,
überhaupt noch Verstand haben; es mutet einen an wie ein Stück
Leben aus ferner, längst verklungener Zeit des Mittelalters.
Gewisse Krankheiten erscheinen noch manchem nicht als ein natür-
licher Vorgang, sondern als eine schädliche dämonische Macht, gegen
die nur eine zaubernde Gegemwvirkung helfen kann. Ein großer Teil der
Krankheiten gilt als „angetan“, — halten doch auch drei Kreuze über
der Schlafstubentüre Krankheiten durch übelgesinnte Leute fern (A., B.,
Th.), — die nur durch „Versswechen“ gebannt werden können. Die Sym-
pathie ist immer noch die volkstümlichste Heilmethode, „die auf jenem
geheimnisvollen Zusammenhange des Menschenlebens mit gewissen Natur-
erscheinungen oder auch mit anderen Menschen und überirdischen Wesen
beruht. Durch Sprüche und Handgriffe setzt man zu bestimmten Zeiten ½
die Wechselwirkung der beiden in Bewegung und schafft die störende
Krankheit aus dem Menschen heraus“. Die Vorbedingungen einer
erfolgreichen Kur aber sind festes Schweigen und unbedingter Glaube.
Letzteren forderte schon im 17. Jahrhundert Doktor Wurmbrand. In
einem von ihm 1648 herausgegebenen Büchlein heißt es:
Soll dich mein Arznei erlaben,
So mußt du Glauben daran haben.
Der Glaub' bestätigt alle Ding'
Ohn' ihn ist Kunst und Hilf gering“'!
Von Wichtigkeit ist ferner der Ort; denn nicht jeder ist zu Zauber=
handlungen gleichsehr geeignet. (Hierzu vgl. W. 107 ff.) Jedenfalls
aber darf eine Kur nur von einer Person vorgenommen werden, die
„etwas kann“. Diese Gabe eignet alten Frauen mehr als alten Männern
(Vgl. hierzu W. 204 ff).
Wenn ich nun eine Reihe von Formeln anführe, so sind es nur
solche, die im Volke gebruucht werden und zwar nicht nur unter dem Land-
volke, sondern auch in der kulturell vorgeschritteneren städtischen Be-
völkerung; denn erwiesenermaßen spielen hier wie dort, sogar in den
sogenannten gebildeten Kreisen das Kartenaufschlagen und die Sympathie=
mittel gegen Krankheiten eine gar nicht geringfügige Rolle. Und es
gibt Leute genug, die aus solchem Aberglauben metiermäßig nicht uner-
hebliche Einkünfte erzielen. Freilich lehrt die Erfahrung auch, „daß die
bei einer genügend gesteigerten Suggestibilität gegebenen Suggestionen
nicht allein auf die Gedanken und Handlungen des Individuums ein-
1) Zauberische Zeiten, vgl. W. 63 ff.