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Gaben in den Sarg. (Vgl. M. 270, 71.) Nach altgermanischem
Glauben ist die Seele nach ihrer Trennung vom Leibe eine Pershönlichkeit,
ist ihr Leben im Jenseits nur eine Fortsetzung des irdischen. Die
Toten hatten dieselben Bedürfnisse wie die Menschen. Die Vorstellung
vom Fortleben der Seele fügte sich ganz den materiellen und wirtschaft-
lichen Interessen der Zurückbleibenden an. Daher findet man auch bei
den verschiedenen Geschlechtern, in den verschiedenen Zeiten und Gegenden
die verschiedensten Gegenstände in den Gräbern: Waffen, Schmurck,
Gerätschaften, Speise und Trank. Auch das Roß, der Haushund, der
Falke begleiteten den verstorbenen Herrn ins Jenseits. In all den
Gaben, die noch in unserer Zeit mit ins Grab gegeben werden, hat sich
diese alte Vorstellung, wenn auch meist nur als tote Sitte, erhalten.
Bevor der Sarg geschlossen wird, werden all die Sachen hineingelegt,
die dem Toten lieb und teuer oder nötig waren, weil in ihnen das Band
mit dem Hause erhalten ist, und weil sie den Lebenden verderblich
werden. Vergißt man den Lieblingsgegenstand mitzugeben, so hat der
Tote keine Ruhe und kehrt um Mitternacht zurück ins Haus. Damit
ihm der Wille zur Rückkehr genommen werde, hängt oder stellt man
den Gegenstand auf (H.) oder legt ihn nachts 12 Uhr in die Hausflur.
Weithin üblich ist das Mitgeben von Geld (R., Th., Ehr., Gey., Ri.,
H., Bä., Zwö., J., A., B., Ge., Joh., Ch. u. a. O.), „damit der Tote reisen
kann“ (A.). Diese stillgeübte. Pflicht ist uralt und ursprünglich un-
zweifelhaft ein Fährgeld zur Uberfahrt in die Unterwelt oder ein Ein-
trittsgeld. (W. 734. — Sartori, die Speisung der Toten, S. 13, als
Viatikum, Zehrpfennig. „Toten lege man Geld in den Mund“, heißt
es in der „Chemnitzer Rockenphilosophie,“1) eine Stelle, die J. Grimm
(D. M.4, S. 694) anzog, um die Fortdauer des Brauches in neuerer
Zeit zu erhärten. Vgl. weiter Archiv f. Religionswissenschaft II (1899)
205, 212). Von den Pfennigen, deren es nur immer drei, fünf, sieben
oder neun sein dürfen, oder deren Anzahl den Familiengliedern entspricht
(El., Bä.), bekommt der Tote je einen unter den Kopf, in die linke und
in die rechte Hand (v.), oder man legt sie unter das Kopfkissen oder
steckt das Geld ins Leichgewand (v.), eingeschlossen in einen Himmels-
brief (Bä.). Dabei sagt man, aber nur bei abnehmendem Monde, weil
dann Rückgang der wirtschaftlichen Verhältnisse zu besorgen ist (65. 300):
„Hier hast Du das Deine,
Laß jedem das Seine!“ (A., Br.)
Oder: „Nimm's Unglück mit,
Laß Glück zurückl!“ (B., J.).
Diese Worte bleiben weg, wenn der Tod bei zunehmendem Monde
die Angehörigen das entstellte Gesicht mit einem Tuche bedeckt hatten. Ihm nach
starben die Frau des Bruders, dieser selbst wie auch eine verheiratete Schwester
der beiden Brüder. Sofort habe sich dann der Glaube verbreitet, daß das dem
Toten übers Gesicht gebreitete Tuch in den Mund gekommen sei und er so lange
daran kaue, bis die Familie ausgestorben sei.
1) Dieses Buch ist nicht nur eine reiche Fundgrube für den Aberglauben im
Anfange des 18. Jahrhunderts, sondern auch für die Geschichte der geistigen Ent-
wicklung der Zeit. Es erschien 1707—1709 bei C. Stössel in Chemnitz.