Full text: Aberglaube, Sitte und Brauch im sächsischen Erzgebirge.

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und zuletzt die Frauen, alle möglichst dicht gedrängt; denn geht der Zug 
„geöffnet“, so kehrt in kurzer Zeit der Tod in die Familie oder deren 
Verwandtschaft ein (A., N. Frk., Gey., Ma., M. u. a. O. 738*). Jenes 
geschieht auch dann, wenn zwischen der Leiche und den Chorknaben ein 
größerer Abstand bleibt (J., Dö., Schl.), — oder es soll ein Ehepaar 
auseinander sterben (Ne.), — über den Leichenzug schreiende Dohlen 
hinwegfliegen (Th.). Die Krankheit, der der Verstorbene erlag, befällt 
ein Glied der Hinterbliebenen, wenn der Zug einen Kreuzweg über— 
schreitet (Kl., Ri.). Kehren Leidtragende auf dem Wege zum Trauer- 
hause oder heimzu ein, so bringen sie dem betreffenden Hause Unglück 
(Nd.). Folgen einer verstorbenen Jungfrau eine ungerade Anzahl junger 
Mädchen, so stirbt eins von diesen in kurzer Zeit (Gr.). Streiten sich 
zwei im Zuge, reden sie berächtliche Worte, tadeln den Toten (753“) 
oder gehen eine Wette ein, so rauben sie dem Verstorbenen die Ruhe 
(A., H., R., Mtt.). Wer essend einer Leiche folgt, dem fallen die Zähne 
aus (Cr. 740), dem Lachenden wächst die Hand zum Grabe heraus (A.). 
Sieht sich ein Leidtragender um, so ruft er den Tod in seine Familie 
(N. 7387), tut es der überlebende Teil, so ist er um die neue Ehe be- 
sorgt (B., Gey., Wo.). Der Letzte im Zuge soll binnen Jahresfrist tot 
sein (A.). Hält ein vollbeladener Wagen vor dem Zuge, so geht es 
den Hinterbliebenen gut (N.). Bei der Begegnung mit einem Leichen- 
zuge soll man nicht essen (Gey.), stehen bleiben; denn hastiges Vorbei- 
eilen läßt den Toten ebenso schnell in die Hölle fahren (J.). Wer 
Leidtragende zählt oder auf einen derselben mit dem Finger zeigt, stirbt 
oder ruft den Tod in seine Familie (I., B., Schl., Sch., A.). Geht den 
Leichenzug an einem Hause vorüber, in dem eine kranke Person liegt, 
so soll der von ihr sprechende Leidtragende bald selbst begraben werder 
(W.). Einen Leichenzug soll man nicht grüßen (Schl.). 
Bei „vornehmen“ Leichen trugen(allg.) und tragen (Kö., Ob., Schl.) 
die Träger der Leiche ausgesucht schöne Zitronen zur Schau in den 
Händen. Dieser Brauch bestand in A. bis in die 80er Jahre, wird jedoch 
vereinzelt auch jetzt noch geübt. Die Zitrone soll auf die Auferstehung 
hindeuten (Schl.). An Stelle der Zitronen wurden auch „Braatzen“" — 
Brezeln gegeben, die die Träger im Trauerhause bekamen und in ihren 
Mänteln mit auf den Leichenweg nahmen. Von älteren Leuten werden 
die Brezeln, die aus Butterteig gebacken werden, vereinzelt auch jetzt 
noch gegeben. Alsdann bekommen sie die Träger in dem Lokale, wo 
sie sich nach dem Begräbnisse zu versammeln pflegen. Bei Begräbnissen 
aus dem ärmeren Stande aber bekamen sie „Bahrlinge“ aus Semmelteig 
in Stollenform von ca. 30 cm Länge (B.) oder in Form zweier zu- 
sammengesetzter ovaler Brötchen (A.), das Stück zu 25—30, bez. 6—10 
Pfennigen. In B. wurden die Bahrlinge in einem Korbe in der Nähe 
des Sarges aufgestellt und oie Träger steckten sie ein beim Abholen 
der Leiche. Dieser Brauch bestand in B. bis in die 70er, in A. bis 
in die 90er Jahre. Bis zu dieser Zeit aßen auch die Mitglieder der 
1794 entstandenen Annaberger Witwenbegräbniskasse, die nur aus Frauen 
besteht, zu dem auf die jährlichen Abrechnungen folgenden Kaffee Bahrlinge.
	        
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