Titel V. Aufwand für die Volksschulen. 8 69. 185
falls die Nichtzahlung anderer öffentlicher Abgaben gleiche Folgen in staatsbürger-
licher Hinsicht nicht nach sich zieht.
Durch die in dem Gesetzentwurf vorgeschlagene Anderung der §§ 54 und 55
soll nun ausdrücklich festgestellt werden, daß die Befreinng von der Zahlung des
Schulgeldes für den Besuch einer Volksschule als Armennnterstützung mit den recht-
lichen Wirkungen einer solchen ebensowenig zu betrachten sei, als — was seither schon
allgemein anerkannt war — die in Form von Schulgeldbefreiung oder von sogenannten
Stipendien für den Besuch höherer Unterrichtsanstalten gewährten Unterstützungen.
Damit sind von selbst die weiteren Bestimmungen gegeben, daß die nicht zur Zahlung
gelangenden Schulgeldbeträge der Gemeinde bezw. dem Verbande, welcher die
betreffende Volksschule zu unterhalten hat, zur Last bleiben und daß die Ent-
scheidung über die Bewilligung der Befreiung — bezw. über die Frage, ob eine „Un-
vermöglichkeit" im Sinne des Schulgesetzes im einzelnen Falle als vorhanden au-
zunehmen sei — den Organen der betreffenden Schulverbände, nicht den Armen-
behörden, zustehe.
Die Einbuße an Schulgeldern, welche bisher von anderen Gemeinden als
unterstützungspflichtigen Armenverbänden zu entrichten waren, wird wohl nur an
einigen größeren Industrieplätzen des Landes, nach welchen ein starker Zufluß von
wenig bemittelter Arbeiterbevölkerung stattfindet, einen nennenswerten Gesamtbetrag
erreichen. Gerade von Gemeinden dieser Art aber dürfte die Anderung eher als
Erleichterung, denn als Mehrbelastung empfunden werden, da die Einhebung der
von auswärtigen Armenverbänden zu zahlenden Schulgelder jedenfalls einen zur
Höhe des Betrages außer Verhältnis stehenden Aufwand an Mühe und Kosten er-
sordert.
Noch einen besonderen Anlaß für den Vorschlag der Großh. Regierung bieten
die Bestrebungen, welche schon bei den ständischen Verhandlungen über die Schul-
gesetnovelle von 1874 und nenerlich wieder auf eine Anderung des § 57 des Gesetzes
über den Elementarunterricht dahin sich richteten, daß den Gemeinden gestattet werde,
das Schulgeld auch dann ohne Rückersatz vonseiten der Eltern rc. auf die Ge-
meindekasse zu übernehmen, wenn zur Deckung der Mehrbelastung Umlagen erfordert
werden. Dem bezüglichen Antrage war bei den erwähnten ständischen Verhand-
handlungen entgegengehalten worden, daß durch ausgiebige Bewilligung von Schul-
geldbefreiungen jeder unbilligen Belastung von Unbemittelten vorgebengt werden könne.
Das Gesetz verlange für die Befreiung von der Schulgeldzahlung keineswegs
eine bis zur Notwendigkeit der öffentlichen Unterstützung gehende Armut, unterstelle
vielmehr die Frage, ob eine Unvermöglichkeit im Sinne des Schulgesetzes vorliege,
dem vernünftigen Ermessen der Gemeindebehörde. Sache dieser Behörde sei es, von
der ihr eingeräumten Befugnis einen solchen Gebrauch zu machen, daß keine die
Kräfte der Zahlungspflichtigen übersteigende Anforderung gemacht werden. Es ist
aber nicht zu verkennen, daß einer ausgiebigen Anwendung der Schulgeldbefreiung,
wie solche in den vorstehenden Sätzen unterstellt wird, in doppelter Richtung Hinder-
nisse im Wege stehen: teils in dem Rechte des etwa ersatzpflichtigen Armenverbandes,
seinerseits — unabhängig von der Behörde des Schulortes — über die Frage der
Unvermöglichkeit des Schulgeldpflichtigen zu entscheiden, teils (und vorzugsweise): in
der Besorgnis einer Schädigung der staatsbürgerlichen Rechtsstellung dessen, dem
der Schulgeldnachlaß bewilligt wird. In beiden Beziehungen würde die vorgeschlagene
Gesetzesänderung Abhilfe schaffen.