Vierter Abschnitt. 1868—1900. 51
der Gesetzentwurf, durch dessen Vorlage die Gr. Regierung einem von ihr selbst als
unabweisbar erkannten Bedürfnis zu entsprechen und zugleich den auf dem letzten
Landtag zum Ausdruck gelangten Wünschen der Landesvertretung nach Möglichkeit
gerecht zu werden hofft.
Indem der Entwurf den Grundsatz, daß Verschiedenheit des religiösen Bekennt-
nisses der schulpflichtigen Kinder eine Trennnung derselben bezüglich des in der Volks—
schule zu empfangenden Unterrichts — vom Religionsunterricht abgesehen — nicht
bedinge, nunmehr allgemein durchgeführt wissen will, erzielt er die ohne irgend welche
Abstimmungen vor sich gehende Vereinigung der in einer Anzahl Gemeinden noch
nebeneinander bestehenden Schulen verschiedener Bekenntnisse. Die Möglichkeit,
welche der Entwurf eröffnen will, überall, wo Kinder verschiedenen Bekenntnisses
auf den Besuch einer Volksschule angewiesen sind, bei Besetzung der Lehrerstellen
hierauf Rücksicht zu nehmen, gestattet, den Verhältnissen, welche durch die bereits
vorhandene und immer weiter schreitende konfessionelle Mischung der Bevölkerung
geschaffen sind, in viel ausgiebigerer Weise, als nach dem bisherigen Gesetz geschehen
konnte, Rechnung zu tragen. Namentlich würde in vielen Gemeinden das eine oder
andere Bekenntnis, welches bisber für seinen Religions-Unterricht der Unterstützung
durch einen Lehrer der Volksschule (§ 27 Absatz 2 des Gesetzes vom 8. März 1868,
entbehren mußte, dieser Wohlthat nunmehr teilhaftig werden. Die in den Entwurf
des Gesetzes aufgenommene Vorschrift endlich, daß bei Besetzung der Lehrerstellen
auf das Bekenntnis der die Schule besuchenden Kinder Rücksicht zu nehmen sei, und
die näheren Bestimmungen, in welcher Weise dies zu geschehen habe, werden Be-
fürchtungen vorbengen, als könne auch da, wo keinerlei Bedürfnis eine Aenderung
des gegenwärtigen Zustandes verlangt, in die hergebrachte Einrichtung der Schule
eingegriffen werden. — —
IV. Als die Gesetze vom 29. Juli 1864 (Über die Aufsichtsbehörden für die
Volksschulen) und vom 8. März 1868 die örtliche Aufsicht über die Volksschule, die
fdoch wesentlich eine Anstalt der Gemeinde ist, nicht der zur Verwaltung der Ge-
meindeangelegenheiten berufenen Behörde, dem Gemeinderat, übertrugen, sondern hiefür
in dem Ortsschulrat eine besondere Behörde einsetzten, waren hiebei zwei Momente
vorzugsweise maßgebend. Nach der damaligen Gemeindegesetzgebung konnte der Ge-
meinderat nur durch die Gemeindebürger und aus diesen gewählt werden. Es sollten
aber auch dic nichtbürgerlichen Ortseinwohner als Interessenten der Volksschule zur
Mitwirkung bei Bestellung der Schulaufsichtsbehörde berufen werden. Sodann sollte
für die Einrichtung der Schulaufsicht ferner die Beteiligung nur eines oder
mehrerer Bekenntnisse an der zu beaufsichtigenden Schule bestimmend werden. Das
erste Moment, die Wahrung der Interessen der nichtbürgerlichen Ortseinwohner, war
vorzugsweise für die größeren Städte von Bedentung, hat diese aber gerade hier seit
Einführung der Städteordnung vom 24. Juni 1874 völlig eingebüßt. Für die der
Städteordnung unterstehenden Gemeinden sind schon durch die Städteordnung selbst
(6 19 Ziff. 1) die Amtsbefugnisse des Ortsschulrats auf den Stadtrat übertragen
worden. In den übrigen Gemeinden ist die Zahl der nicht bürgerlichen Einwohner
im Vergleich zu jener der Gemeindebürger nicht erheblich, in den meisten Land-
gemeinden sogar fast verschwindend klein, und auch für diese Gemeinden ist seit 1868
eine Aenderung der Gemeindegesetzgebung insofern eingetreten, als jetzt die Wahl in
den Gemeinderat nicht mehr von dem Besitz des Gemeindebürgerrechts abhängig ist.
(Schlußsatz des § 15 der Gemeindeordnung.)
Würde nun mit Annahme der in den Artikeln I. und III. des vorliegenden Ent-
zwurfes vorgeschlagenen Bestimmungen auch das andere Moment in Wegfall kommen,
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