X. Fortbildungsunterricht. 719
ebenfalls unentgeltlich zu versehenden Meßner- und Organistendienst — des einzigen
freien Tages der Woche beraubte, sich der Erteilung dieses Unterrichts nicht mit
der nötigen Freudigkeit unterzogen.
Das Elementarunterrichtsgesetz vom 8. März 1868 enkkleidete sodann die
Fortbildungsschulen ihres obligatorischen Charakters, indem es den Gemeinden
deren Beibehaltung, den Schülern deren Besuch freistellte und nur die Lehrer ver-
pflichtete, auf Verlangen der Gemeinde neben dem sonstigen Stundendeputat noch
weitere vier Stunden wöchentlich Unterricht „au der einfachen oder erweiterten
Volksschule oder an der Fortbildungsschule“ gegen besondere Vergütung
zu erteilen. Ein Antrag der Kommission der zweiten Kammer, die Gemeinden für
verpflichtet zu erklären, „bei den Volksschulen die Einrichtung zu treffen, daß
den schulentlassenen jungen Leuten noch zur Befestigung und Vervollständigung ihrer
Schulkenntnuisse mit besonderer Rücksicht auf deren Anwendung im Berufsleben
wöchentlich ein mehrstündiger Unterricht geboten ist“ — welche Verpflichtung indessen
ruhen sollte, „wenn und solange die Zahl der zum Besuche der Fortbildungsschule
Angemeldeten jeweils beim Beginn des Sommer= und beziehungsweise des Winter-
halbjahres auf fünf herabgesunken ist“ — hatte nicht Annahme gefunden.
Die mit der völligen Freigebung eines Fortbildungsunterrichts gemachten Er-
fahrungen führten aber bald zur Erkenutnis der Notwendigkeit, für die Gemeinden
die Verpflichtung zur Unterhaltung von Fortbildungsschulen und für die aus der
Volksschule entlassene Ingend die Verbindlichkeit zum Besuch eines Fortbildungs-
unterrichts wieder herzustellen. Zu diesem Behufe wurde dem Landtage von 1873/74
— gleichzeitig mit der eine Aufbesserung des Einkommens der Volksschullehrer be-
zweckenden Gesetzesvorlage (geschichtliche Einleitung, S. 42) — der Entwurf eines
Gesetzes, betreffend den Fortbildungsunterricht, vorgelegt. Im Eingang der
dem Entwurf beigegebenen Begründung war bemerkt:
„Als man bei der Erlassung des Gesetzes vom 8. März 1868 über den
Elementarunterricht die sogenannten Fortbildungöschulen ihres obligatorischen
Charakters entkleidete, war keineswegs die Meinung maßgebend, daß der Fort-
bildungsunterricht als Ergänzung des Elementarunterrichts überhaupt entbehrlich
sei. Aber man hoffte, daß die Gemeinden den ihnen offen gelassenen Weg, durch
ihre Lehrer gegen besondere Vergütung Fortbildungsunterricht an freiwillige Teil-
nehmer erteilen zu lassen, aus eigenem Antrieb auch fernerhin gerne betreten
werden und daß einerseits die Volksschule durch ihre gesteigerten Leistungen, ander-
seits die erhöhten Bildungsansprüche an die Berufsklassen jeder Art in den be-
füähigten Schülern den nötigen Bildungstrieb erwecken würden, um sie zu einem
regelmäßigen freiwilligen Besuch der Fortbildungschulen zu veraulassen.
Diese Hoffnungen gingen nicht in Erfüllung. Am 15. Dezember 1871 hatten
von den 1586 Gemeinden des Landes nur noch 323, d. h. etwas über 20% solche
Schulen. — —
Die Ursachen dieses wenig erfreulichen Ergebnisses, liegen teils in der Schen
einzelner Gemcinden vor dem obwohl geringen Geldaufwand, teils in dem Mangel
an Verständnis für die Wichtigkeit dieses Unterrichts, vor allem aber in der Un-
Möglichkeit, einen regelmäßigen Besuch der Schule herbeizuführen, so lange der-
selbe nicht durch Gesetz für obligatorisch erklärt ist.
Nach solchen Erfahrungen hat sich cus allen Landesteilen und aus allen
Bepölkerungskreisen immer lauter der Nuf nach Wiedereinführung der Fortbildungs-
schulen erhoben. Derselbe erscheint in der That vollkommen berechtigt, und der
vorlicgende Gesetzentwurf ist dazu bestimmt, auf einem der wichtigsten Gebiete des