Full text: Gesetze und Verordnungen über Elementarunterricht und Fortbildungsunterricht im Großherzogtum Baden.

720 X. Fortbildungsunterricht. 
Unterrichtswesens, auf welchem bereits in andern dentschen Ländern und in einigen 
Kantonen der Schweiz große Anstrengungen gemacht werden, soweit die thatsächlichen 
Verhältnisse es gestatten, Versäumtes wieder nachzuholen.“ 
III In einer von dem Oberschulrat dem Ministerium des Innern eingereichten 
Denlschrift vom 26. Juni 1873 war hinsichtlich der Aufgabe, welche der nen ein- 
zurichtenden Fortbildungsschule zu stellen sei, Folgendes bemerkt: 
„Nach unserer festen Überzeugung kann man der Fortbildungsschule keine 
andere Bestimmung geben, als die Befestigung und Erweiterung der in der Ele- 
mentarschule erworbenen Kenntnisse. Diese Meinung wird zwar Widerspruch finden: 
es wird nicht an Leuten fehlen, welche wünschen, daß auf dem Lande vorzugs- 
weise landwirtschaftlicher und in den Städten und Industriebezirken vorzugsweise 
gewerblicher Unterricht erteilt werden soll. Aber wer nüchternen Sinnes in Er- 
wägung zieht, daß jährlich nur 70 bis 80 Unterrichtsstunden zur Veefügung stehen, 
der wird einräumen müssen, daß nur einc ernste Beschränkung und Ausnützung 
des Unterrichtsstoffes vor der Gefahr einer schwindelhaften und verwirrenden Un- 
gründlichkeit schützen kann. 
Ausgehend von den Kenntnissen, deren Besitz die Absolvierung der Elementar- 
schule voraussetzen läßt, hat der Lehrer dem Schüler diese Kenntnisse stets in ihrer 
unmittelbaren Beziehung zu den Bedürfnissen des Lebens vor das Auge zu bringen 
und sie so in das geistige Eigentum des Schülers überzuführen, daß letzterer 
imstande ist, sich ihrer als Werkzeug zu bedienen. Es setzt dies allerdings bei dem 
Lehrer Begabung, tüchtige Ausbildung und jenen pädagogischen Takt voraus, 
welcher dem Unterschied in der Entwicklung der Zöglinge der Fortbildungsschule 
gegenüber den Elementarschülern Rechnung zu tragen und ersteren ein lebendiges 
Interesse für den Unterricht abzugewinnen weiß. Aber selbst dann noch läßt sich 
bei der spärlichen Unterrichtszeit das vorgesteckte Ziel nur erreichen, wenn Lesen, 
lÜbungen im mündlichen und schriftlichen Ausdruck und Rechnen den Mittelpunkt 
des Unterrichts bilden, von welchem aus mittelst geschickter Auswahl des Lehrstoffs 
die übrigen in der Volksschule behandelten Wissensgebiete behandelt werden, so weit 
sie für die Lebensstellung der betreffenden Zöglinge von Wichtigkeit sind." 
Die in Vorstehendem dargelegte damalige Auffassung der Oberschulbehörde 
hat sodann in § 7 des Gesetzes vom 18. Februar 1874 entsprechenden Ausdruck 
und weitere Ausgestaltung in der Ministerialverordnung vom 5. Februar 1875, be- 
treffend den Lehrplan für die Fortbildungsschule, gefunden. Sowohl im Gesetze als 
in der Lehrplan-Verordnung ist zwar gefordert, daß die Erweiterung und Befestigung 
der in der Volksschule erworbenen Kenntnisse in „Beziehung auf die Bedürfnisse des 
Lebens“ stattfinden und daß der Schüler lernen soll, sich der in der Fortbildungs= 
schule erweiterten und befestigten Volksschulkenntnisse „in seiner beruflichen Thätig- 
scit als Werkzeng zu bedienen.“ Eine Verschicdenheit in der Gestaltung des Fort- 
bildungsunterrichts zur Anpassung desselben an besondere Forderungen des bereits 
erwählten oder mutmaßlichen künftigen Berufes der Schüler (Schülerinnen) wurde 
nicht vorgesehen. Dabei ist zu bemerken, daß die seit 1834 in Baden bestehenden 
„Gewerbeschulen“ als eine ihren besonderen Regeln folgende unterrrichtliche 
Veranstaltung, nicht als eine besondere Art der Fortbildungsschule, in Gesetz und 
Verordnungen auch fernerhin behandelt wurden, obwohl gleichzeitig die Bestimmungen 
der Deutschen Gewerbeordnung über den Besuch einer „von der Gemeindebehörde 
oder vom Staate als Fortbildungsschule anerkannten Unterrichtsanstalt"“ 
auch auf die „Gewerbeschulen“ in Baden in Anwendung kamen.
	        
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